Michael Titze: Therapeutischer Humor. Eine Standortbestimmung (gekürzt)
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In: Florian Fischer, Corinna Peifer und Tabea Scheel (Hrsg.):
Humor – ein ernstzunehmender Gesundheitsfaktor, Hogrefe Verlag, Bern, 2024
 
 
Die Psychotherapie galt lange Zeit als eine nüchterne Behandlungsweise, die darauf abzielt, psychische Störungen auf ernsthafte Weise zu korrigieren (vgl. Titze & Eschenröder, 2011). Obwohl Sigmund Freud ([1905] 1982) eine vielzitierte Abhandlung über den Witz vorgelegt hatte, bezweifelte die von ihm begründete Psychoanalyse zunächst die therapeutische Wirksamkeit des Humors. So erklärte der prominente Analytiker Lawrence Kubie (1971, S. 861): »Es gibt einen Ort, wo der Humor nur eine sehr eingeschränkte Rolle zu spielen hat (wenn überhaupt), und das ist die Psychotherapie!«
Wir können heute davon ausgehen, dass Kubie nicht jenen hilfreichen Humor vor Augen hatte, den anglo-amerikanische Humorforscher salopp als »nice guys humor« bezeichnen – als den »Humor der netten Typen« (Billig, 2005). Diese Variante des Frohsinns fand bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weit weniger Beachtung als der boshafte Humor (»bad guys humor«), der danach trachtet, andere Menschen lächerlich zu machen. Die dahinter stehende Absicht zielt auf einen Abwärtsvergleich mit Sozialpartnern ab, der die eigene Überlegenheit bestätigt (Festinger, 1954; Wills, 1991). Professionelle Komödianten haben diesen freudig stimmenden Effekt seit jeher genutzt, indem sie zahllose Gelegenheiten zu lustvoll-belustigenden Abwärtsvergleichen mit randständigen Menschen offerieren (vgl. Röcke & Velten, 2005; Titze, 2011).

Der therapeutische Humor
Mittlerweile hat der »gute Humor« (Bernhardt, 1985) als therapeutisches Medium Zugang in viele Bereiche der Krankenbehandlung und des Gesundheitsmanagements gefunden (vgl. Hardy, 2020; McCreaddie & Wiggins, 2008). Diese Spielart des Humors erfüllt vielfältige Funktionen. So kann eine damit verbundene »Humorreaktion« (McGhee, 1971) – sie äußert sich in einem heiteren Lachen oder Lächeln – negative Verhaltensweisen wohltuend abmildern und positive physiologische Veränderungen im Körper bewirken (Fry, 1971; Martin, 2006). Dabei wird dem Humor die Bedeutung eines originellen Mediums zugesprochen, das geeignet ist, eine anregende Erheiterung hervorzurufen, welche die zwischenmenschliche Brücke festigt (Ruch, 1995; Ruch & Proyer, 2011). Wenn Behandler:innen und Patient:innen miteinander lachen, erfolgt ein unmittelbarer Austausch positiver Gefühle, über die sodann ein produktiver Prozess der Problembewältigung angeschoben werden kann (Olson, 1994). Daneben wird ein Kommunikationsfluss befördert, der von Offenheit und Gleichwertigkeit geprägt ist (Franzini, 2001). Das äußert sich gewöhnlich in einem einvernehmlichen Lachen.
Heiterkeit besitzt insofern eine sozial verbindende Funktion, als sie die Mitglieder der Eigengruppe gegenüber Außenstehenden zusammenschließt (vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1967, S. 140). Ihre Interaktionen werden durch ein gemeinsames (kohäsives) Lachen harmonisiert, das die Identifikation mit der Bezugsgruppe fördert und gruppeninterne Spannungen auflösen kann (La Fave 1972; Ziv, 1984). Im gemeinsamen Lachen erleben einzelne Gruppenmitglieder eine uneingeschränkte Selbstbestätigung, die ihr Wohlbefinden ebenso fördert wie die Bereitschaft, sich auf schwierige und unangenehme Situationen einzulassen (Titze & Rößler, 2020, S. 110ff.).
Der kohäsive Humor besitzt insofern einen wichtigen Nutzen für die medizinische Praxis, als er die zwischenmenschliche Brücke zwischen Behandler:innen und Patient:innen sowohl aufbaut als auch festigt. Wenn Humor von vornherein als partnerschaftliches Medium fungiert, ergibt sich ein unbefangener, aber dennoch respektvoller Umgangston, der zum Entstehen eines positiven Arbeitsbündnisses beiträgt und der eine – von professionellen Erhabenheitsansprüchen geprägte – unpersönliche oder gar verkrampfte Atmosphäre nicht aufkommen lässt.

Humor-Training
Die Erkenntnis, dass Humor den Umgang mit problematischen Situationen erleichtert, negative Emotionen reguliert und neue Wege der Problemlösung aufzeigt, wird aktuell im Bereich der Gesundheitsförderung gezielt für ein formales Humortraining genutzt. Die zugrunde liegende Methodik basiert auf abgesicherten psychologischen und neurobiologischen Erkenntnissen (vgl. Falkenberg et al., 2021; Hirsch, 2019; Salameh, 2007).
Bereits Mitte der 1990er Jahre hatte Madan Kataria (1999) versucht, die gesundheitsfördernde Funktion der Humorreaktion für das von ihm entwickelte Lach-Yoga zu nutzen. Dieses umfasst eine Mischung aus Dehn-, Klatsch- und Atemübungen, die durch pantomimische Lachspiele ergänzt werden. Dadurch sollen verschiedene Organsysteme gekräftigt werden (vgl. Titze, 2016).
Lachen wird durch drei Komponenten eines neurologisch definierbaren Netzwerks gesteuert, das in unterschiedliche Regionen des Gehirns verortet ist (Wild 2016). Dazu gehört die kognitive Komponente im Stirnlappen und im Hinterhauptlappen der linken Gehirnhälfte. Dort wird das Verstehen von verbalen Metaphern und witzigen Pointen ermöglicht. Die emotionale Komponente, die das Gefühl der Erheiterung entstehen lässt, wird durch den Mandelkernkomplex bereitgestellt, der wiederum ein Teil des limbischen Systems ist. Im Hirnstamm befindet sich schließlich ein neuronales Kerngebiet, welches die Motorik des Lachens durch Aktivierung der Gesichtsmuskeln und der Stimmbändern ermöglicht. Dieses Lach-Netzwerk funktioniert wie ein interdependenter Schaltkreis: Sobald eine der genannten Komponenten aktiviert wird, werden die anderen Komponenten in der Folge ebenfalls angeregt.
Diesen Wirkmechanismus macht sich das Lach-Yoga zunutze. Kataria (1999) erklärt, dass es keinen kognitiven Grund braucht, um ins Lachen zu kommen. Deshalb gehe es zunächst nur um die Aktivierung der motorischen Voraussetzungen des Lachens (Lachatmung, Lachgeräusche, Lachmimik). Danach würden die anderen Komponenten reaktiv wirksam werden. Somit gilt für Kataria dieser Grundsatz: »Fake it, then make it!«
Eine gesundheitsfördernde Heiterkeit lässt sich, so gesehen, trainieren und sogar willentlich herbeiführen. Daher müssen diejenigen, die Lach-Yoga praktizieren, durchaus keine humorvollen Frohnaturen sein. Dies wird zu Beginn eines entsprechenden Lachtrainings von der anleitenden Person ausdrücklich festgestellt, und die Beteiligten werden nachgerade aufgefordert, zunächst nichts anderes zu versuchen, als die typischen Lachlaute lediglich nachzuahmen, und zwar so lange, bis das künstliche Lachen in echtes Lachen übergeht (vgl. Papousek, 2008).

Das Komische und der böse Humor
Die wissenschaftliche Erklärung und Nutzung der heilsamen Wirkungen der Humorreaktion war vor wenigen Jahrzehnten durchaus innovativ. Denn in den Jahrhunderten zuvor hatten sich (fast ausschließlich) Philosophen für die im ethischen Sinne negativen Auswirkungen des Lachens interessiert. Es handelte sich dabei um das, was schlicht als böser Humor bezeichnet werden kann (Billig, 2005). Tatsächlich analysierten schon antike Gelehrte die schadenfreudigen Begleitumstände jener Erheiterung, die durch die Wahrnehmung der Lächerlichkeit komisch wirkender Personen hervorgerufen wird (Keith-Spiegel, 1972).
Platon (2007) setzte das Komische mit dem Minderwertigen gleich. Entsprechend würden Schwächen anderer Menschen die »Lust des Lachens« anstacheln. Aristoteles (2006) bezog sich dabei auf Lustspiele, die aus der »Komós-Prozession« hervorgegangen waren: Dies war eine ekstatische Veranstaltung am Ehrentag von Dionysos, dem Gott des Weines, der erotischen Lust und des Wahnsinns (Giangrande, 1962). Die an diesem Umzug Beteiligten waren in der Regel betrunken, weshalb sie auf das Publikum unweigerlich »komisch« wirkten. Diese Ur-Komödianten glichen kleinen Kindern, Behinderten, Geisteskranken oder Dementen – das heißt Personen, die nicht ernst genommen werden konnten (vgl. Titze 2009).
Im Mittelalter wurden entsprechende komische Außenseiter durchwegs als Narren bezeichnet (Klapp, 1950). Für die Gesellschaft repräsentierten sie Unwerte, die allgemein abgelehnt wurden, nämlich Unvermögen, blamables Versagen oder eine körperliche Verunstaltung (Martineau, 1972). So fiel dem närrischen Menschen die Funktion zu, als abstoßendes Exempel für diejenigen zu dienen, die um eine Integration in die Gesellschaft bemüht waren.
Die archetypische Figur des Narren (Jung, Kerényi & Radin, 1954) ist auch in der Gegenwart aktuell. Sie betrifft nach wie vor »komische« Randständige, die den Idealnormen der Gesellschaft widersprechen. Deshalb können sie für diejenigen, die nicht komisch sind (oder sein wollen), eine ergiebige Quelle schadenfroher Belustigung bilden (vgl. Titze, 2009). Dabei besteht eine grundsätzliche Affinität zu ärztlich diagnostizierten »Verrückten« in psychiatrischen und gerontologischen Einrichtungen. Diese komischen Persönlichkeiten haben zum Beispiel Wahnvorstellungen, begehen Sprachfehler, leiden unter muskulären Verkrampfungen, geistigen Aussetzern oder nervösen Tics (vgl. Titze, 2011a). Ihre Betrachter können sich in diesem Zusammenhang – wiederum im Sinne des bereits erwähnten Abwärtsvergleichs – überlegen fühlen, weil sie als »Normale« an solchen Schwächen nicht teilhaben (Titze, 2011). Sobald Menschen aber in die entsprechende Minus-Position gelangen, werden sie zwangsläufig zu unfreiwilligen Komikern. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein …
* Opernsänger nach Luft ringt
* Prediger einen Schluckauf bekommt
* Fernsehmoderator von Gesichtszuckungen überwältigt wird
* Festredner stottert

Vor dem gleichen Problem stehen Menschen, denen es nicht gelingt, ihre Vitalfunktionen in einer sozial angemessenen Weise zu beherrschen. Beispiele sind:
* Zittern der Hände, Zuckungen im Gesicht
* Erröten des Gesichts, übermäßiges Schwitzen oder stockender Atemfluss
* Stottern, Stammeln, Poltern

Kleinen Kindern werden derartige Verhaltensweisen erst dann zum Problem, wenn Erwachsene diese zu korrigieren versuchen oder ältere Kinder sie diesbezüglich verspotten. In solchen Augenblicken wird den Betroffenen unmittelbar bewusst, dass sie sich komisch verhalten. Sollten sie dann versuchen, die peinlichen Verhaltensweisen willentlich zu korrigieren, müssen sie zumeist feststellen, dass dies nicht nur misslingt, sondern – paradoxer Weise – zu einer Verstärkung eben dieses »lachhaften« Verhaltens führt. Auf diese Weise können zum Beispiel Tics oder Störungen des Redeflusses entstehen. Den Betroffenen vergeht dabei nicht nur das eigene Lachen. Zusätzlich werden sie das Lachen der Anderen zu fürchten beginnen, weil es der beschämende Indikator ihres (unfreiwillig) komischen Verhaltens ist. Henri Bergson ([1900] 2011) beschrieb präzise das Schicksal solcher Menschen, deren spontane Lebendigkeit durch eine zunehmende Verkrampfung schließlich zum Mechanismus von ungelenken Marionetten gerinnt (vgl. Titze, 1996, 2013). Weil sie den »Normalen« dadurch wie eine unlebendige Sache erscheinen, können diese, ohne Mitleid empfinden zu müssen, über sie lachen. Nicht selten kann ein solches Lachen die Betroffenen allmählich so sehr verstören, dass sie eine regelrechte »Lachangst« bzw. Gelotophobie entwickeln (vgl. Titze, [1995] 2013, 1997; Titze & Kühn, 2010).

Die paradoxe Intention und der Mut zur Lächerlichkeit
Professionelle Komiker imitieren mit Vorliebe das komische Erscheinungsbild verkrampfter Menschen und bringen dadurch das Publikum gewollt zum Lachen: So weisen sie unfreiwillig komischen Persönlichkeiten einen paradoxen Weg, der diese aus dem Dilemma einer existenziellen Lächerlichkeit hinausführen kann. Viktor Frankl ([1946]1975; [1956]1975) griff dieses Lösungsangebot auf, indem er das Konzept der paradoxen Intention entwickelte. Es beruht auf dieser Idee: Je mehr sich Menschen von psychosomatischen Gehemmtheiten willentlich befreien wollen, desto verspannter werden sie. Denn ihr Erröten, Zittern, Schwitzen oder Verkrampfen wird durch eine Erwartungsangst zementiert, die zu einer Fixierung der Aufmerksamkeit im Sinne übermäßiger Selbstbeobachtung (»Hyperreflexion«) führt. Dieser Teufelskreis kann durch die paradoxe Intention durchbrochen werden, indem Patient:innen eben das anstreben sollen, was bisher so sehr gefürchtet wurde (vgl. Titze, 1985). Letztlich geht es dabei um den Erwerb einer ungenierten Haltung, die es den Patienten ermöglicht, »der Gefahr nicht nur ins Gesicht zu blicken, sondern auch ins Gesicht zu lachen« (Frankl ([1975] 2005, S. 63).
Wolfgang Blankenburg (1990) erörterte die wichtigsten »Wirkfaktoren paradoxen Vorgehens in der Psychotherapie«. Dabei zeigt sich, dass diese Methode gerade bei schambezogenen Ängsten wie Platzangst/Straßenangst, Errötungsangst, Tics, Zitterangst, Sprechangst, Errötungsangst, übermäßigem Schwitzen sowie Harnverhaltung in öffentlichen Bedürfnisanstalten wirksam ist (vgl. Titze [1995] 2013, S. 125-135).
Behandler:innen sollen an diesem nachgerade widersinnigen Prozess aktiv teilhaben, indem sie Patient:innen gegenüber unbeirrt einen eigenen Mut zur Lächerlichkeit demonstrieren und hierdurch eine Humorreaktion auslösen (Frankl, [1959] 1987, S. 164).
Diesem Leitgedanken folgte Albert Ellis, der Begründer der Rational-emotiven (Verhaltens-)Therapie. Am Anfang seines Berufslebens hatte Ellis eine Lehranalyse bei dem Psychoanalytiker Richard Huelsenbeck absolviert, der zuvor ein führender Dadaist gewesen war (Hoellen, 1993; Titze, 2000).
Huelsenbecks generelle Intention war, eine allzu ernste Lebenseinstellung derart ins Lächerliche zu ziehen, bis sich der Gegensatz zwischen primärer Unvernunft und sekundärer Vernunft schließlich auflöst. Vorbedingung sei die konsequente Abkehr vom Rationalismus des sozial angepassten Erwachsenen, wodurch sich die originäre Kreativität des Individuums erst entbinden ließe (vgl. Watzlawick, 1977). Eben diesem Grundgedanken folgte Ellis bei der Behandlung von schamzentrierter Sozialangst (Ellis, 1977). Um diesem »irrwitzigen Denken« entgegenzuwirken, konzipierte er in den späten 1960er Übungen der Schamüberwindung, die ein bewusst komisches Verhalten anregen (Ellis & MacLaren, 2015). Hier einige Beispiele (vgl. Schwartz; 1987; Titze [1995] 2013, S. 275ff.):
* »Ziehen Sie sich unpassend an.«
* »Sagen Sie vor einer Gruppe von Leuten bewusst etwas Dummes.«
* »Geben Sie eine Schwäche zu, die die meisten Menschen normalerweise verachten, z. B.: ‚Ich kann nicht gut buchstabieren‘.«
* »Verhalten Sie sich komisch, indem Sie auf der Straße singen oder an einem sonnigen Tag einen schwarzen Regenschirm aufspannen.«
* »Bringen Sie schlecht zubereitetes Essen in die Küche des Restaurants zurück.«
* »Versuchen Sie, eine Uhr bei einem Schuster reparieren zu lassen.«
* »Fragen Sie in einem Geschäft nach einem Schraubenzieher für Linkshänder.«
* »Fahren Sie z. B. mit der Straßenbahn oder dem Bus und rufen Sie an fünf Haltestellen nacheinander laut und vernehmlich: ‚Trafalgar Square, alles aussteigen!‘«
* »Fragen Sie Passanten freundlich und höflich: ‚Entschuldigen Sie, ich komme gerade aus dem Nervenkrankenhaus. Welchen Wochentag haben wir heute?‘«

Eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung dieser paradoxen Übungen ist jedenfalls der Frankl‘sche Mut zur Lächerlichkeit, den Ellis (1977, 264ff.) auf diese Weise vermitteln wollte: »Eines der Hauptanliegen rational-emotiver Therapie ist das bedingungslose Annehmen menschlicher Fehler und Idiotien. Als einer meiner Klienten berichtete, er könne in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt nicht defäkieren, fragte ich ihn nach dem Grund. Er meinte, der Bursche in der Nachbarkabine könnte seine unangemessenen Geräusche mitkriegen und sich etwas Abfälliges dabei denken. So fragte ich ihn: ‚Was erwarten Sie, wenn Sie auf Ihrer Kloschüssel sitzen und die richtigen Geräusche machen? Soll der Kerl in der anderen Box aufstehen und die amerikanische Nationalhymne anstimmen?‘«

Der spleenige Humorist
Die Ich stärkende Bedeutung eines spezifischen Mutes zur Lächerlichkeit wurde erst im 18. Jahrhundert erkannt. Damals begann man – zuerst in England – eine unbekümmert komische Haltung, die mit gesellschaftlichen Idealnormen kollidiert, gleichzeitig aber menschenfreundlich ist, als guten Humor (good humour) zu definieren. Überdies wurde auch ein Zusammenhang mit dem Konzept der Paradoxie hergestellt (vgl. Weeks & L’Abate, 1982). In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Verfügbarkeit von umschriebenen verbalen Kompetenzen wie Witzigkeit oder Schlagfertigkeit, sondern um eine grundlegende Haltung, die aus dem Rahmen sozial vorgegebener (»sekundärer«) Rollenzuweisungen fällt. Im Jahre 1907 veröffentlichte der Humorist Karl Arnold im Satireblatt Simplicissimus eine Karikatur, in der (1) ein professioneller Spaßmacher (Comedian), (2) ein Witzeerzähler am Stammtisch und (3) ein spleeniger Humorist auf einer Parkbank dargestellt sind. Dabei wird ein wesentliches Bestimmungsmerkmal des »guten Humors« erkennbar: Im Gegensatz zum Spaßmacher und Witzeerzähler brauchen Humorist:innen nämlich kein Publikum, das ihnen applaudiert. Ihnen geht es nicht um den Effekt. Vielmehr folgen sie ihrem habituellen Eigensinn und tun das, wozu sie gerade Lust haben. Das kann auch die einsame Siesta auf der Parkbank sein, inmitten eines Schneegestöbers!

Therapeutische Doppelbindungen schärfen den Sinn für Humor
Seit den Tagen der Antike ist bekannt, dass das Zusammenwirken divergenter Betrachtungsweisen eine Humorreaktion auslösen kann (Titze & Eschenröder, 2011, Kap. 4.4). Der schottische Philosoph James Beattie hatte dies bereits im Jahre 1776 so erläutert: »Lachen ergibt sich aus der Beachtung von zwei oder mehreren inkonsistenten, unpassenden oder inkongruenten Sachverhalten, von denen man annimmt, dass sie innerhalb eines komplexen Ganzen vereinigt sind.« (zit. n. Preisendanz 1974, S. 889).
Arthur Koestler (1966, 1990) machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass sich der Humor einer Strategie bedient, die widersinnige Sinnbereiche – konsequent, aber durchaus unsystematisch – in einer verblüffenden Weise miteinander verknüpft. Diese Verschmelzung von logisch heterogenen Struktur en wurde von ihm als Bisoziation bezeichnet (vgl. Titze, 2004; Titze & Patsch, 2020).
Nach William F. Fry (1964) erfüllt der Humor eine Vielzahl von kommunikativen Funktionen. Dabei werden nicht wenige Botschaften – weitgehend unbewusst – rein körpersprachlich, also nonverbal artikuliert. Ihre unmittelbare (analoge) Aussage kann dabei mittelbar (digital) geäußerten verbalen Botschaften diametral widersprechen, so dass das offen Ausgesprochene durch das indirekt Angesprochene in Frage gestellt wird. Derartige Doppelbindungen wurden von den Kommunikationstheoretikern der »Palo-Alto-Gruppe« auf die Vermischung inkongruenter Abstraktionsniveaus der Kommunikation zurückgeführt (Bateson et al., [1956] 2010).
Kommunikative Doppelbindungen basieren insgesamt auf der Zwiespätigkeit von explizit verbalen (digitalen) und implizit nonverbalen (analogen) Mitteilungen (Watzlawick et al., [1969] 2000). Während eine pathogene Doppelbindung auf dem Kontrast von schönen Worten und einer zurückweisenden Körpersprache beruht, ist es bei einer therapeutisch wirksamen Doppelbindung genau umgekehrt. Hier bildet eine nonverbal zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung der Adressat:nnen das Fundament der Kommunikation. Um dies anzuzeigen, ist eine Leichtigkeit im Tonfall ebenso hilfreich wie gelegentliche freundschaftliche Berührungen und ein Zwinkern mit den Augen (Farrelly & Brandsma, 1986, S. 85). Unter dieser Voraussetzung können auf der verbalen Ebene durchaus Botschaften übermittelt werden, die rein inhaltlich eine gegensinnige (paradoxe) Wertigkeit besitzen. Die Provokativen Therapeuten Eleonore Höfner und Hans-Ulrich Schachtner (1995, S. 71) beschreiben dies so: »Wir kommunizieren auf der digitalen Ebene, der Ebene der Begriffe, ausnehmend frech. Oberflächlich betrachtet klingt das manchmal sogar ätzend und bösartig. Gleichzeitig vermitteln wir auf der analogen Ebene, der nonverbalen also, das Gegenteil, d. h., wir vermitteln dem anderen, dass wir ihn für wertvoll und gleichwertig halten. Wir machen ihm deutlich, dass er als Mensch in Ordnung ist, aber dass er – wie viele andere auch – in einem selbstgebrauten, zähflüssigen Blödsinn steckt. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass bei inkongruenten Botschaften immer der nonverbalen geglaubt wird.«
Zum Zwecke einer Akzentuierung der entsprechenden paradoxen Aussagen können verbal überzeichnete Mitteilungen genutzt werden. Harold Mosak und Michael Maniacci (1993) verwenden in diesem Zusammenhang verbale Untertreibungen ebenso wie Wortspielereien, um festgefahrene Denkmuster aufzubrechen und defätistische Überzeugungen zu relativieren. Hier ein paar Beispiele:
* »Wenn Sie nicht groß sein können, machen Sie sich kleiner!«
* »Wenn Sie nicht erfolgreich sein können, versuchen Sie es endgültig zu vermurksen!«
* Eine Patientin erklärte, das Leben ihres Kindes für immer ruiniert zu haben. Sie wurde mit der folgenden Bemerkung konfrontiert: »Hören Sie auf, dermaßen zu prahlen!«
Letztlich entsprechen rhetorische Stilmittel, die einen übertriebenen metaphorischen Sinngehalt (der eigentlich gemeint ist) durch die begriffliche Verbalisierung von widersprüchlichen Inhalten konterkariert, dem Kunstgriff der rhetorischen Ironie. Ihre einfachste Form besteht darin, das Gegenteil von dem zu sagen, was eigentlich gemeint ist (Kierkegaard, [1841] 1984; Watzlawick, 1983). Eine Variante dieser rhetorischen Vorgehensweise, auf die der therapeutische Humor bevorzugt zurückgreift, ist die Selbstironie (vgl. Titze, 2019). Ihre Grundmethodik ist relativ einfach: Man gibt sich so, als wäre man schwer von Begriff oder geistig minderbemittelt. Wenn die entsprechenden Behauptungen mit einem Augenzwinkern verbunden werden, wird ihre begriffliche Wertigkeit simultan negiert.
Als therapeutisch hilfreich erweist sich Selbstironie immer dann, wenn dabei problematische Verhaltensweisen wohlwollend ins Auge gefasst werden. In diesem Sinne intervenierte Watzlawick bei einem jungen Patienten mit Schizophrenie, der lange Jahre seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen verbracht hatte (Watzlawick et al., 1974, S. 160f.). Anstatt ihm gut zuzureden, sich vom Einfluss seiner Familie unabhängig zu machen, eine Arbeit zu finden und sein Leben eigenständig zu gestalten, wurde der Patient gleich mit der Frage konfrontiert: »Warum sollten Sie sich ändern?« Dies wurde sodann durch eine selbstironische »vertrauliche Mitteilung« begründet.

Defensive Ressourcen
Psychisch gesunde Menschen besitzen erkennbare expansive Ressourcen, die ihre innere Festigkeit sicherstellen. Es sind dies inhärente Kompetenzen, Stärken und Bewältigungsstrategien, die ein Mensch von Geburt aus mitbringt bzw. die im Laufe des Lebens (weiter) entwickelt wurden. Diese Ressourcen sind die eigentliche Antriebskraft, die für eine mutige Auseinandersetzung mit den Lebensproblemen ebenso genutzt werden kann wie für eine erfolgreiche Teilhabe am sozialen Wettstreit.
Bei nicht wenigen Patient:innen sind die expansiven Ressourcen verschüttet. An ihre Stelle sind defensive Ressourcen (Titze, 2018) getreten, die auf einem »Krankheitsgewinn« beruhen, der sich von der Dynamik funktioneller Symptome herleitet. Die hieraus resultierenden Befindlichkeitshinweise (zum Beispiel Kopf- und Muskelschmerzen, Schwindelanfälle, Atembeschwerden und allgemeine Schwächezustände) können sich insofern als effiziente Mittel der Problemlösung erweisen, als sie den Sozialpartnern das eigene Leiden appellativ vor Augen führen. Eben diese – weitgehend unbewusste – passive Strategie existenzieller Sicherung entspricht der Funktion einer defensiven Ressource.
Sobald ein Symptom im Hinblick auf seine Funktion als defensive Ressource umgedeutet wird, erscheint es als Ausdruck eines verborgenen Könnens. Entsprechend definieren Wolfgang Neumann und Bruno Peters (1996, S. 93) eine Ressource als das, »was eine Person gut kann«. Und sie empfehlen folgerichtig: »Das, was man gut kann, muss man vorzeigen und spielen, zum Beispiel die lebenslang eingeübte ‚Rolle als Schüchterner‘.« Dementsprechend bewerten humorbezogene Therapeut:innen auch objektiv defizitäre Verhaltensweisen in einer ressourcenspezifischen Weise. Steve De Shazer (1989, S. 286) bringt diese Beispiele:
* unreifes Verhalten = nonkonformistisch sein
* kontaktarm/abgeschieden leben = sein eigenes Bewusstsein genau erforschen
* auf Distanz gehen = sich um sich selbst kümmern
* passiv sein = die Fähigkeit, Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind
* unterwürfig sein = Autorität und Führung suchen, um sich selbst zu finden
* im Leben umherirren = alle vorhandenen Möglichkeiten erforschen
* überempfindlich sein = sehr lebendig, bewusst und intensiv auf andere Menschen eingestimmt sein
* alles kontrollieren wollen = Struktur und Überblick in seine Umwelt bringen wollen
* unangemessen impulsiv sein = spontan sein wollen
* widerspenstig sein = seinen eigenen Weg im Leben suchen
* grundlos weinen = fähig sein, Gefühle, besonders schmerzhafte, authentisch auszudrücken

Alles, was Patient:innen tun (oder nicht tun), kann somit als Ausdruck der Inszenierung eines originellen »Drehbuchs« interpretiert werden, dessen tieferer Sinn allerdings (noch) nicht verstanden wurde.

Irrationale Bündnisse
Aufgrund seiner kohäsiven Wirkung kommt dem therapeutischen Humor von vornherein eine emotional supportive Bedeutung zu (vgl. Saper, 1987). In diesem Zusammenhang kann Patient:innen eben das vermittelt werden, dessen sie in ihrer psychosozialen Notlage besonders bedürfen: die vorbehaltlose Stärkung ihres Selbstwertgefühls (Bellak, 1979). Die entsprechende Methodik ist pragmatisch, indem zunächst das eruiert wird, was Patient:innen durch ihr (mehr oder weniger) eigensinniges Verhalten im sozialen Kontext jeweils bewirken können. Dieses Können wird fortlaufend mit »positiven Augen« fokussiert. Den betreffenden Patient:innen wird dabei bestätigt, dass sie »in Wirklichkeit« durchaus fähig sind, ihr Leben selbstmächtig zu gestalten, auch wenn sie sich dessen (noch) gar nicht bewusst sind (vgl. Watzlawick, 1985).
Dieses Vorgehen weist prinzipiell eine Übereinstimmung mit dem Grundanliegen der Positiven Psychologie auf, die die Wirksamkeit lebensbejahender Emotionen ebenfalls in einer gutheißenden Weise in den Blick nimmt (Billig, 2018; Ruch & Proyer, 2011; Seligman, 2003). Dementsprechend soll – ohne Umschweife – eine vorbehaltlos wertschätzende Beziehung zu den Patient:innen hergestellt werden, was die Rahmenbedingung für die Vermittlung von Optimismus schafft (vgl. Hardy, 2020).
Eine methodische Voraussetzung dieser Vorgehensweise ist die aktive Steuerung des interpersonalen Beziehungsgeschehens, indem die Patient:innen mit ihren unbewussten Absichten wohlwollend konfrontiert werden (Titze, 1995a). Indem sich Therapeut:innen dabei mit den Patient:innen empathisch identifizieren, reflektieren sie die positiven Qualitäten bzw. Ressourcen ihres primären Lebensentwurfs in einer unmittelbaren Weise.
Der erste Hinweis auf ein »irrationales Bündnis« findet sich in einem kurzen Bericht über einen paranoiden Patienten. Don Jackson (1963), einer der Begründer der konstruktivistischen Kommunikationstherapie, schildert in diesem Zusammenhang, wie er auf den Argwohn dieses Patienten reagierte, der behauptet hatte, im Behandlungszimmer befänden sich Abhörgeräte. Diese Unterstellung nahm Jackson augenblicklich ernst, indem er seine Betroffenheit offen zum Ausdruck brachte und sogleich darauf bestand, das Behandlungszimmer nach »Wanzen« zu durchsuchen. Während sich diese Prozedur hinzog, zeigte sich der Patient zunehmend skeptisch, wodurch sich Jackson aber nicht beeindrucken ließ. Nachdem die Suche schließlich erfolglos abgebrochen werden musste, begann der Patient spontan über die Beziehung zu seiner Frau zu sprechen, die in der Tat Anlass zu Misstrauen geben konnte.
In einem irrationalen Bündnis, wie dem soeben referierten, wird somit auch ein Verhalten, das in rationaler Hinsicht als »komisch« erscheinen mag, vorbehaltlos akzeptiert. Dabei werden etwaige Manifestationen von Symptomen nicht als Ausdruck einer Störung bewertet, sondern als die adäquate Ermöglichung einer Problemlösung. Mit Hilfe von »vertraulichen Hinweisen« kann zugleich bestätigt werden, dass dieser Lösungsweg »normaler Weise« aber doch nicht völlig akzeptabel ist (Titze & Eschenröder, 2011, S. 69ff.). Wenn Therapeuten daher erklären: »Das sollte unter uns bleiben, niemand braucht zu erfahren, dass ich Ihnen das geraten habe«, bestätigen sie einerseits die rationalen Forderungen des gesellschaftlich normierten Erwachsenenlebens (= sekundäres Bezugssystem), die häufig eine Quelle von Schuld- und Schamgefühlen sind. Gleichzeitig setzen sie sich – sozusagen privatissime – für die subjektiven Bedürfnisse des inneren Kindes (= primäres Bezugssystem) ein. Watzlawick und seine Mitarbeiter (1974, S. 118f.) sprechen hier von einer humorspezifischen »Umdeutung«, die sich nicht auf objektive Gegebenheiten bezieht, sondern die eine ausschließlich subjektive Bedeutung hat. In dieser Hinsicht lässt sich auf Seiten der Patient:innen vielfach ein sanfter Perspektivenwandel anregen, der die bisherige Strategie der Problemlösung sowohl bestätigt als auch (indirekt) in Frage stellt.


© Dr. Michael Titze
 
 
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