Therapeutischer Humor - ein Überblick
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Michael Titze, Tuttlingen;
Christof T. Eschenröder, Bremen;
Waleed A. Salameh, San Diego.
[Integrative Therapie 3/1994, S. 200-234 (gekürzt)]
1. Einleitung

Erst seit wenigen Jahren wird die klinische Anwendbarkeit des spezifisch menschlichen Phänomens Humor in psychotherapeutischen Fachkreisen ausdrücklich erkannt und akzeptiert. Bis dahin hatte es zwar eine Menge anekdotischer Hinweise dafür gegeben, daß Lachen gesund bzw. die »beste Medizin« ist (oder, wie es in der Bibel heißt: »Ein fröhlich Herz tut auch dem Körper gut den Leib dörrt aus ein kummervoll Gemüt«; Sprüche 17,22). Doch erst der spektakuläre Bericht von Norman Cousins (1981) über seinen erfolgreichen Versuch, eine tückische Krankheit durch gezieltes Lachen zu überwinden, ließ auch die Fachwelt aufhorchen (vgl. auch Moody 1979).
Dabei waren in der Psychotherapie seit Jahrzehnten gewisse verblüffende bzw. »paradoxe« Techniken angewandt worden, die indirekt humorbezogen sind (vgl. 3.3). Aber erst in den letzten Jahren erschienen wissenschaftliche Studien, in denen die Bedeutung des Humors für die Psychotherapie gezielt herausgestellt wurde (vgl. Bloomfield 1980; Dimmer et al. 1990; Fry, Salameh 1987; Furman, Ahola 1988; Golan et al. 1988; Greenwald 1975; Haig 1986; Killinger 1976; Mindess 1976; Reynes, Allen 1987; Rosenheim 1974; Rosenheim, Golan 1986; Salameh 1983).
Im folgenden wird zunächst die Humorreaktion beschrieben und ein Überblick über verschiedene Theorien des Humors vorgelegt. Anschließend wird der Versuch einer Systematisierung von »Humortechniken« zur Diskussion gestellt und die Bedeutung des Humors in verschiedenen Therapieformen besprochen.


2. Die Humorreaktion

Der Humor ist ein vielschichtiges, ja schillerndes Phänomen. Dies beginnt schon bei der Frage seiner Definition. Manche Autoren (vgl. Bernhardt 1985) differenzieren in Anlehnung an Freud den Humor ausdrücklich vom Witz. Wir verstehen den Humor hingegen als einen Sammelbegriff, der auf verbale (Witz) und nonverbale Mittel (Komik, Karikatur, Klamauk, Schabernack, Parodie) zurückgreift, um den physiologischen Reflex des Lachens bzw. Lächelns auszulösen. Dieser Reflex kann gewiß durch eine »Unzahl verschiedener und unverbundener Reizbedingungen hervorgerufen werden« (Krech, Crutchfield 1968, S. 262). Er ist aber insofern der unverkennbare, sozusagen leibhaftige Ausdruck der Humorreaktion (McGhee 1971), als er das innere Erlebnis eines logischen oder moralischen Normverstoßes indiziert.
Koestler (1978/1990) beschreibt den Humor als »die einzige Form der Kommunikation, bei der ein Reiz auf einer hohen Stufe der Komplexität eine stereotype, vorhersehbare Reaktion auf der physiologischen Reflexstufe (= Lachen) auslöst« (S. 133). Und sie scheint keinen anderen biologischen Nutzen zu haben, als den Menschen »vorübergehend vom Streß zielgerichteter Tätigkeiten« (ebd.) zu erlösen. Folgerichtig bezeichnet Koestler die Humorreaktion, die sich im Lachen entbindet, als einen »Luxusreflex«« (ebd.), der nur dem Menschen zu eigen ist.
Freud (1905/1970, S. 217) wies den Humor als »höchststehende Abwehrleistung«« aus, während Frankl (1947/1977, S. 74) ihm die Bedeutung einer »Waffe der Seele im Kampf um Selbsterhaltung« zusprach: dies in Entsprechung zu Nietzsches Diktum, der Mensch habe das Lachen nur deshalb erfunden, weil er »das leidendste Tier auf Erden (ist)« (1973, S. 467). Somit kommt der Humorreaktion insofern auch eine existentielle Bedeutung zu, als »der Humor dem Menschen als Methode dienen kann, sich gegen die Schmerzen und Drohungen der Realität zu verteidigen« (Flugel 1954, S. 714). Dies wird am Beispiel des Galgenhumors deutlich (vgl. Titze 1985, S. 119ff).
Somit ist die Humorreaktion genuiner Ausdruck eines spezifisch menschlichen Phänomens, das die Einheit von Körper, Seele (Psyche) und Geist unverwechselbar unter Beweis stellt: »Humor ist eine Einstellung, die nur dem Menschen verfügbar und zugänglich ist. Kein Tier ist fähig zu lachen. Diese Einstellung kommt erst im geistigen Raum spezifisch humaner Phänomene zum Vorschein« (Frankl 1946/1975, S. 197f).
Die Beschäftigung mit dem Thema »Humor«' war seit den Tagen der Antike eine Domäne der Philosophie gewesen (Titze 1988b). Erst in neuerer Zeit begannen sich auch Psychologen, Biologen, Literaturwissenschaftler und Mediziner für die Humorreaktionen zu inter essieren (vgl. Chapman, Foot 1976; Goldstein, McGhee 1972; Hirsch 1985; Kamper, Wulf 1986; McGhee, Goldstein 1983; Vogel 1992).

3. Theoretische Voraussetzungen für die therapeutische Anwendbarkeit von Humor

Der einschlägigen Literatur (vgl. Flugel 1954; Keith-Spiegel 1972; Mosak 1987; Titze 1988b) lassen sich drei grundlegende theoretische Ansätze entnehmen, die für das Verständnis der therapeutischen Bedeutung des Humors von Belang sind:

3.1 Kathartische Theorien
Schon Darwin (1872) wies darauf hin, daß Lachen zum homöostatischen Ausgleich innerhalb des Organismus beiträgt, also etwa den Blutdruck stabilisiert, zur Sauerstoffanreicherung im Blut führt, den Kreislauf anregt, die Verdauung fördert und insgesamt eine nachhaltige körperliche Entspannung bewirkt. Nietzsche ließ »Zarathustra« sagen: »Zehrunal mußt du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal« (1873/1973, S. 295). Die Befunde der modernen »Gelotologie,«' (Lachforschung) haben überdies belegt, daß die Humorreaktion zur Stärkung des Immunsystems führt (Berk et al. 1987, 1991), zur Schmerzreduktion beiträgt (Cogan et al. 1987) und dem Streßabbau förderlich ist (Lefcourt, Martin 1986). Übersichtsdarstellungen hierzu finden sich bei Fry (1971,1993), McGhee (1991) und Rubinstein (1985).
Die kathartische Theorie des Humors geht im übrigen auf Freud zurück, der - unter Berufung auf Spencer (1891) - »das Lachen (als) ein Phänomen der Abfuhr seelischer Erregung« (1905/1970, S. 118) ausweist. Entsprechend sehen Reik (1929, S. 113) und Strotzka (1976, S. 309) das Lachen als einen gesunden und notwendigen innerpsychisch bedingten Entlastungsprozeß an. Hirsch (1985, S. 10) schreibt in diesem Zusammenhang: »Das laute Lachen (ist) wie der Nachhall eines harten Kampfes. Der Körper zuckt, die Zähne sind gebleckt, der Atem geht schwer, die Stimme grunzt und schreit. Es mag wohl so sein, daß Lachen immer noch dazu da ist, den Sieg über einen Feind zu feiern; freilich ist das gewöhnlich kein äußerer Feind mehr, sondern irgendein innerer Gegner, das Gewissen vielleicht oder eine Hemmung, ein moralisches Verbot oder ein unterdrückter Haß. Was da festsaß, das schüttet man nun im Lachen aus; man sprudelt es mit dem Ausatmen weg.«

3.2 Überlegenheits- und Aggressionstheorien
Gemäß der antiken Degradationstheorie, die auf Aristoteles zurückgeführt wird, regt die Wahrnehmung von Defekten, Deformierungen oder auch nur der Häßlichkeit bei einem Mitmenschen zum Lachen an (vgl. Cooper 1922). Hobbes (1651/1968) ging entsprechend davon aus, daß Lachen im Gefolge des Erlebens eines »plötzlichen Triumphs,«' über einen als minderwertig wahrgenommenen Menschen erfolge.
In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Aggressivität bei der Entstehung der Humorreaktion zentral thematisiert. Koestler (1966, S. 45) wies darauf hin, daß es im Alten Testament neunundzwanzig Hinweise auf das Lachen gibt. Davon seien dreizehn mit Geringschätzung, Hohn, Spott oder Verachtung verbunden und nur zwei »kommen aus wirklich fröhlichem Herzen«. In Entsprechung dazu stellte Gregory (1924) fest: »Das Gelächter, das mit dem Menschen aus dem Nebel der Antike auftaucht, scheint einen Dolch in der Hand zu halten. Es gibt in der Literatur der Antike über das Lachen so viele Beispiele für brutalen Triumph, Verachtung und Fußtritte gegen den Besiegten, daß wir annehmen dürfen, daß das ursprüngliche Lachen ausschließlich aggressiv gewesen ist« (zit. n. Koestler 1966, S. 44).
Freud (1905) sah im Witz Tendenzen sexuellen und aggressiven Charakters am Werk, die an der kulturbedingten Über-Ich-Zensur »vorbeigemogelt«' würden. Entsprechend betonten Reik (1929) und Grotjahn (1974) die Bedeutung aggressiver Tendenzen bei der Entstehung der Humorreaktion. (Dies hatte 1744 schon der englische Philosoph Morris erkannt, der den Witz als die »Waffe« und gar »Artillerie« des Lächerlichmachens ausgewiesen hatte; vgl. Hügli 1980, S. 8). Denn der Humor »erspare« dem Gewissen die Empfindung von Mitleid (Freud 1927-28/1970, S. 214) bzw. bewirke eine »momentane Anästhesie des Herzens« (Bergson 1921, S. 131), die aus der Tatsache hergeleitet sei, daß Lachen ein »Erziehungsmittel« sei: »Ist Demütigung sein Zweck, so muß es der Person, der es gilt, eine persönliche Empfindung verursachen. Dadurch rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich gegen sie herausgenommen hat« (Bergson 1921, S. 131).
Solche Hinweise sind im Hinblick auf die therapeutische Anwendbarkeit von Humor von nicht geringer Bedeutung. Denn der Humor ist in jeder Hinsicht ein schillerndes Phänomen: Er lebt nicht allein von kognitiven bzw. logischen Diskrepanzen und Widersprüchlichkeiten, sondern er baut sich auch im ethischen Spannungsfeld von »Gut,«' und »Böse,«' auf. Hierin ist die heitere, augenzwinkernde Akzeptanz menschlicher Schwächen ebenso einbeschlossen wie der menschenverachtende Spott des Zynikers.
Nicht alle Autoren haben diesen weit gefaßten Rahmen freilich anerkennen wollen. So differenziert etwa Bernhardt (1985, S. 16ff) zwischen dem »guten« Humor, der als anzustrebender Wert grundsätzlich auf nicht-aggressive Mittel der Komik zu beschränken sei. Ironie, Sarkasmus und Zynismus seien demgegenüber dem Humor nicht zu subsumieren. Diese Einschränkung muß aber schon deshalb problematisch bleiben, weil bekanntlich gerade die Spielarten des sog. Schwarzen Humors die Lachreaktion besonders intensiv auslösen.
Gewöhnlich werden die »bösen« Formen des Humors als »primitiv« verstanden, was einerseits Wertung ist andererseits aber auch ein Hinweis auf ihre Ursprünglichkeit sowohl in phylo- als auch in ontogenetischer Hinsicht. Kinder neigen dazu, »grausam« und »herzlos« zu sein, wenn sie andere verlachen. Dies läßt sich dadurch erklären, daß die Wirksamkeit normativ-moralbezogener Kontrollinstanzen (Gewissen, Über-Ich) bei ihnen noch nicht umfassend gewährleistet ist. So gehört das lustvolle Auslachen ebenso zur Realität kindlichen Daseins wie reziprok das schmerzliche Gefühl, selbst ausgelacht zu werden. Beides fördert indes die Herausbildung sozialer Fertigkeiten (Wissen um Spielregeln, »gesunder Menschenverstand«, Gemeinschaftsgefühl, Rollenkonformität (vgl. Titze 1985). Wenn Kinder mithin ein Gespür dafür entwickeln, was »komisch« ist, muß eine Konkordanz mit der peer group bestehen. Damit wirkt die Angst vor dem Ausgelachtwerden insofern gruppenstärkend, als sie mit der verstärkten sozialen Anpassungsbereitschaft des Kindes einhergeht.
Dies würde im Einklang zu Bergsons Annahme stehen, das Lachen sei ein »Erziehungsmittel«. Tatsächlich weisen die Befunde der Ethologie (vgl. Eibl-Eibesfeldt 1967, S. 41f; Rapp 1949) darauf hin, daß Lachen gruppenintern kohäsiv wirkt, während es gleichzeitig gegenüber dem Gruppenfremden, dem Außenseiter, aggressive Abgrenzungstendenzen signalisiert:«Das Lachen (ist) wahrscheinlich durch Ritualisierung aus einer neu
Sofern ein Kind (z. B. aufgrund bestimmter Stigmatisierungen) aber in die entsprechende Außenseiterposition gelangt ist, wird es sich im Ausgelachtwerden als »komisch«, d. h. als minderwertig, unterlegen und vom sozialen Leben ausgeschlossen empfinden müssen. Dies hat in der Regel zur Folge, daß es zur Herausbildung einer Aggressivität kommt, die frustrationsbedingt ist (vgl. Dollard et al. 1970). Sie besitzt gewöhnlich destruktive Wirkungen in Form antisozialen und/oder selbstschädigenden Verhaltens - was die Außenseiterposition des betreffenden Menschen nur noch zusätzlich bestärkt und zu einer umfassenden sozialen Isolation führen kann. Gerade in solchen Fällen dürfte die Anwendung des relativierenden therapeutischen Humors besonders indiziert sein (vgl. Titze 1994).

3.3 Inkongruenztheorien
Die Humorreaktion (Belustigung, Lächeln, Lachen) wird insbesondere auch durch das Zusammenwirken bestimmter logisch-kognitiver Voraussetzungen ausgelöst, die nach Koestler (1978, S. 134) »ungewöhnlich« sind. Das normale Denken läuft innerhalb jenes in sich konsistenten Bezugsrahmens ab, der durch die bindenden Gesetze der aristotelischen Logik bestimmt wird und in den Freuds »Sekundärvorgänge«' bzw. Adlers »common sense« eingebunden sind (vgl. Titze 1986). Eben diesen Bezugsrahmen transzendiert bzw. »sprengt« der Humor, indem er konsequent, aber durchaus unsystematisch, eben »verblüffend«, jenen anderen Bezugsrahmen mit einbezieht, in welchem Freuds »Primärvorgänge« bzw. Adlers »private Logik« angesiedelt sind. Koestler (1966) bezeichnet diesen Vorgang als »Bisoziation« und spricht ihm eine grundsätzliche schöpferische Bedeutung zu:«Wenn zwei voneinander unabhängige Wahrnehmungs
Diese Erkenntnis ist nicht neu, hatten doch schon im 18. Jahrhundert britische Philosophen in diesem Zusammenhang die Termini »Inkongruenz« bzw. »Inkonsistenz« gebraucht (vgl. Titze 1988b, S. 9f). Bergson (1921, S. 80ff) sprach von »Interferenz«, Plessner (1950, S. 111) von der »Einheit des Gegensinnigen« und Schopenhauer (1819/1980, S. 122) von »Paradoxie«, wenn er den »Ursprung des Lächerlichen« zurückführt auf die [...] paradoxe und daher unerwartete Subsumtion eines Gegensatzes unter einen ihm übrigens heterogenen Begriff [...] Das Phänomen des Lachens (wird demnach bedingt durch) die plötzliche Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen einem solchen Begriff und dem durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Abstrakten und dein Anschaulichen« (ebd.).
Unter Bezugnahme auf die psychotherapeutische Praxis weist Madanes (1987, S. 258; vgl. 1989) darauf hin, daß inkongruentes Denken verschiedene Abstraktionsebenen einbezieht und damit einer metaphorischen Kommunikation entspricht. Inkongruenz setze die Fähigkeit voraus, Zusammenhänge aufzulösen, unlogisch zu sein, in non sequiturs zu kommunizieren, von einem Subjekt zum anderen zu springen und assoziative Verbindungen zwischen heterogenen Elementen herzustellen.
Die Kommunikationstheoretiker der Palo-Alto-Gruppe (Bateson, Jackson, Haley, Weakland 1969) wiesen in einem ihrer ersten Forschungsberichte darauf hin, daß die Vermischung verschiedener Abstraktionsniveaus zu logischen Paradoxien führt. Sie bezogen sich dabei auf die Logische Typenlehre von Whitehead, Russell (1910).
Bezogen auf den Humor werden verschiedene Ebenen der Abstraktion zusammengefaßt, [...] wenn plötzlich klar wird, daß eine Botschaft nicht nur metaphorisch gemeint ist, sondern auch wörtlich - und umgekehrt. Das heißt, das explosive Moment im Humor kommt in jenem Augenblick zur Wirkung, in dem die Markierung der Kommunikationsmodi aufgelöst und zu einer neuen Synthese zusammengesetzt wird« (Bateson et al. 1969, S. 13).
Entsprechend definieren Watzlawick et al. (1974) die paradoxe Wirkung des Humors als »die absichtliche Verwirrung von Element und Klasse,« (ebd., S. 47; vgl. Fry 1964, Kap. VII). Daher spielen Umdeutungen eine wichtige Rolle im Humor, nur daß dort der zweite Bezugsrahmen, der meist durch die Pointe vermittelt wird, ein non sequitur ist, das der Geschichte unvermittelt und unerwarteterweise eine korrtische Wirkung gibt« (ebd., S. 118f; vgl. Madanes 1989, S. 123ff).
Der Humor lebt mithin von der Einbeziehung von paradoxen Strategien im Sinne von Übertreibungen, Untertreibungen, logischen Widersprüchen und Verdrehungen, Wortspielereien, absurden (»verrückten«) Realitätsdeutungen, Gleichsetzungen des Konkreten mit dem Abstrakten (Metaphorischen) und dem »Umkehren« (Lächerlichmachen) des Erhabenen: Stets ist dabei »irgend eine Art von kognitiver Diskrepanz miteinbezogen« (Mosak 1987, S. 25). Es handelt sich hier um einen verblüffenden Vorgang, der das Bezugssystem des logisch disziplinierten Denkens sprengt. Aus der »abrupten Verlagerung des Bewußtseinsstroms in ein anderes Bett, das von einer anderen Logik oder Spielregel beherrscht wird« (Koestler 1978/1990, S. 155), erfolgt jener »Überraschungseffekt« (Wilmann 1940, S. 74), der die Humorreaktion auslöst.
Auf den Bereich der Psychotherapie bezogen bedeutet dies, eine gegebene pathologische Störung als Anstoß zu einer Abwandlung des Bezugssystems zu sehen, zu nehmen und entsprechend zu handeln« (Blankenburg 1990, S. 129). Dies setzt aber voraus, daß eben diese »Störung« als ein grundsätzlich positiver »Selbstheilungsversuch« (ebd., S. 128) umgedeutet wird. Der Therapeut wird dabei konsequent daran gehen, [...] den begrifflichen und gefühlsmäßigen Rahmen, in dem eine Sachlage erlebt und beurteilt wird, durch einen anderen zu ersetzen, der den 'Tatsachen' der Situation ebenso gerecht wird und dadurch ihre Gesamtbedeutung ändert« (Watzlawick et al. 1974, S. 118).


4. Dimensionen der therapeutischen Wirkung des Humors

Wie Salameh (1986, S. 157f) ausführte, wird therapeutischer Humor innerhalb folgender Dimensionen wirksam:
(1) Humor ist in emotionaler Hinsicht therapeutisch wirksam, da er Hemmungen zu lösen vermag und zu einer Entbindung verdrängter Affekte anregt. Wenn Therapeut und Klient miteinander lachen, kommt es zu einem unmittelbaren, spontanen Austausch menschlicher Gefühle im Erleben von freizügiger Gleichwertigkeit.

(2) Humor ist in kognitiver Hinsicht therapeutisch wirksam, da er das kreative Potential des Klienten anregt, seine Fähigkeit Probleme zu lösen, aktiviert, so daß neuartige Zusammenhänge hergestellt, Bewertungen relativiert und Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt werden können. Damit fördert der Humor eine explorierende Haltung gegenüber scheinbar unumstößlichen, normativ festgeschriebenen Handlungsabfolgen. Rigide, defensive Verhaltensmuster können dadurch aufgelöst und durch flexiblere ersetzt werden.

(3) In kommunikativer Hinsicht kommt dem Humor die Bedeutung eines erfrischenden, entspannenden, originellen und anregenden Kontaktmediums zu. Sofern der Therapeut Humor in angemessener Weise anwendet, ergibt sich zwanglos ein freundlich konstruktiver Umgangston, der zum Entstehen eines positiven Arbeitsbündnisses beiträgt und der eine von professionellen Erhabenheitsansprüchen geprägte unpersönliche oder gar verkrampfte Atmosphäre gar nicht erst aufkommen läßt. Der Humor fördert vielmehr Interaktionsweisen, die von Offenheit und Gleichwertigkeit geprägt sind. Innerhalb dieser besonderen Atmosphäre können die verschiedenen psychotherapeutischen Interventionen wirksam zur Anwendung kommen. Die Erfahrung zeigt, daß die Widerstandsbereitschaft auf Seiten der Klienten dabei deutlich verringert ist.
Denn wie im Falle von gelenkten Tagträumen, dem Psychodrama und Rollenspielen kann dem Humor die Bedeutung einer indirekten Form der Kommunikation (vgl. Salameh 1986) zukommen, die buchstäblich entwaffnend wirkt und den Klienten anregt, den vielen zwanglos in die Interaktion einfließenden informellen Botschaften einen kognitiven und emotionalen Sinn zu geben. Es entsteht ein Gefühl von Selbstbestätigung, nachdem es dem Klienten gelungen ist, die humorvolle Botschaft von sich aus decodiert und verstanden zu haben. Dieses Gefühl geht gewöhnlich einher mit einer »Aha«-Reaktion - als Ausdruck der Empfindung, für ein altes Problem eine neuartige Lösung gefunden zu haben. Eben dies ist der Auslöser für die therapeutisch gebotene Perspektiven- und Verhaltensänderung.

4.1 Formen therapeutischer Humoranwendung
Salameh (1983, S. 72ff) legte eine »Humor Rating Scale« vor, die eine Einschätzung therapeutischer Humoranwendung erlaubt. Der Umgang mit Humor bedarf großer Sorgfalt und Umsicht, um potentielle destruktive Wirkungen auszuschließen. Im folgenden Überblick findet sich eine Beschreibung jener Formen der Humoranwendung, die im Rahmen der Psychotherapie nicht indiziert sind, und solchen, denen eine therapeutische Wirksamkeit zukommt.

(1) Destruktiver Humor
Wenn ein Therapeut sarkastischen und entwertenden Humor verwendet, werden auf der Seite des Klienten in der Regel Gefühle von Verletztsein und Mißtrauen hervorgerufen. Dies ist stets dann der Fall, wenn der Therapeut eigenen Affekten der Wut oder Verärgerung Luft macht und gegenüber den entsprechenden Auswirkungen auf den Klienten unsensibel und bedenkenlos ist. Dadurch kann die therapeutische Atmosphäre nachhaltig vergiftet werden, und es entsteht ein typischer »bitterer Nachgeschmack«. Dabei kommt es gewöhnlich zu einer Beeinträchtigung der therapeutischen Beziehung und des therapeutischen Prozesses.

Klinische Vignette:
Therapeut zum Klienten, der über Minderwertigkeitsgefühle im Zusammenhang mit irrationalen Selbstwertproblemen geklagt hat: »Offensichtlich müssen Sie ziemlich mies drauf sein! Mit Ihrem Gesichtsausdruck könnten Sie es schaffen, eine ganze Flotte zu versenken. Außerdem dürften Sie den IQ einer Zwergkiefer besitzen. Andererseits kann es aber auch Vorteile bringen, dumm zu sein. Dann können Sie sich für regelmäßige Zahlungen vom Versorgungsamt qualifizieren!«

(2) Schädlicher Humor
Der Therapeut vermengt Belangloses mit unpassenden ironischen und teilweise sarkastischen Bemerkungen. Wird er sich der Unangemessenheit seines Vorgehens bewußt, versucht er, die schädlichen Wirkungen mittels zusätzlicher Kommunikation zu entschärfen. Dennoch ist diese Form der Humoranwendung ungeeignet, den therapeutischen Prozeß zu fördern. Hohn und Spott sind mit dem Anliegen therapeutischer Humoranwendung nicht zu verstehen.

Klinische Vignette:
Ein Klient berichtet, er sei im Hinblick auf seine Lebensziele verwirrt und unfähig, sich selbst zu verstehen. Der Therapeut antwortet: »Sie bewegen sich also zum Ende der Fahnenstange!« Klient (nervös kichernd): »Ich nehme an, Sie wollen, daß ich perfekt bin?« Therapeut (nunmehr selbstkritisch): »Nun ja, äh, manchmal bin ich genauso. Manchmal kann ich auch nicht geradeaus denken.« Der Therapeut erzählt nun Beispiele aus seinem eigenen Leben, die belegen sollen, daß auch er unvollkommen sein kann. Die dahinterstehende Absicht ist, sich indirekt zu entschuldigen. Somit findet eine allmähliche Ablenkung von den soeben gemachten negativen Erfahrungen des Klienten statt.

(3) Minimal hilfreicher Humor
Der Humor des Therapeuten stellt den Eigenwert des Klienten rächt grundsätzlich in Frage. Insgesamt ist die Humoranwendung im Hinblick auf die Bedürfnisse des Klienten geeignet, diesem eine Möglichkeit an die Hand zu geben, seine Probleme aus einem weniger ernsten Blickwinkel zu beurteilen. Der Humor des Therapeuten beschränkt sich freilich auf bloße Reaktionen gegenüber den Mitteilungen des Klienten, ohne Ausdruck einer aktiven und zielgerichteten Intervention zu sein.

Klinische Vignette:
Ein Ehepaar berichtet dem Therapeuten über ein zunehmendes Abklingen spontaner sexueller Begegnungen. Geschlechtsverkehr ergäbe sich nur noch anläßlich besonderer Gelegenheiten. Therapeut: »lhr Sexualleben ist anscheinend mit dem guten alten Weihnachtsbaum zu vergleichen: Es ist ganz schön mühsam, ihn auszusuchen, zu kaufen und zu schmücken. Wenn die Kerzen dannangezündet werden, ist das schon schön: aber das passiert halt nur einmal im Jahr...«

(4) Sehr hilfreicher Humor
Der Humor des Therapeuten befindet sich im wesentlichen in Einklang mit den Bedürfnissen des Klienten. Dadurch wird es diesem möglich, neue Entscheidungsperspektiven zu finden. Spezifische Formen der Fehlanpassung können in diesem Zusammenhang aufgedeckt werden, ohne daß dabei die Achtung vor der personalen Würde des Klienten verloren geht. Neben der konsequenten Förderung der Einsichtsfähigkeit des Klienten erfährt dieser auch Anregungen, selbstschädigende Handlungsbereitschaften bzw. Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern. Gleichzeitig wird die Qualität einer durch Offenheit und Freimütigkeit geprägten therapeutischen Beziehung gewährleistet.

Klinische Vignette:
Ein zwanghafter Patient weist die Deutungsangebote des Therapeuten konsequent mit der Bemerkung zurück: »Nein, das ist nicht mein Bier!« Worauf der Therapeut entgegnet: »Was ist denn Ihr Bier - bzw. welche Sorte Champagner bevorzugen Sie denn?«

(5) Besonders hilfreicher Humor
Der Humor des Therapeuten stellt gegenüber dem Klienten eine tiefgehende Empathie unter Beweis. Er ist außerdem gekennzeichnet durch Schlagfertigkeit, Spontaneität und eine genaue zeitliche Synchronisierung. Diese Form therapeutischen Humors stellt für den Klienten eine stete Herausforderung dar, sein effektives und intellektuelles Potential voll auszuschöpfen. Dadurch kann eine umfassende kognitive Umstrukturierung in Gang gesetzt werden. Der therapeutisch indizierte Prozeß der Selbsterkenntnis wird gleichsam spielerisch angeregt, indem Probleme humorvoll definiert und in primär-prozeßhaft verdichteter Weise präsentiert werden; therapeutisch bedeutsames Material wird in ungewöhnliche Symbole gekleidet, während neue Lebensziele und Methoden zu ihrer Realisierung fast beiläufig aufscheinen. Die in diesem Zusammenhang entbundene Kreativität therapeutischen Humors kann auf Seiten des Klienten entscheidende existentielle Einsichten zu Tage fördern. Nicht zuletzt findet der Klient die Gelegenheit seinen eigenen Sinn für Humor zu entdecken und - in Übereinstimmung mit anderen Einstellungsänderungen - einzuüben.

Klinische Vignette:
Während einer Gruppentherapie spricht ein manipulativer Klient zum wiederholten Male über seine vergeblichen Versuche, eine nicht-manipulative Art der Kommunikation zu seinen Mitmenschen herzustellen. Obwohl er dies ehrlich versuche, würden ihm die anderen dies nicht abkaufen und auch nicht auf seine authentische Selbstoffenbarung eingehen. Der Therapeut erklärte: »Ihre Situation erinnert mich an eine Corrida mit Torero und Stier. Wir wissen aber nicht, ob Sie der Stier sind, dessen Abschlachtung wir bedauern, oder der Torero, dessen Mut wir bewundern sollen!« Ein Gruppenmitglied meinte darauf: »Er ist doch gar kein Stier. Er ist es, der andere Leute zu Rindviechern macht!« Der manipulative Klient (lachend): »Letzten Endes muß ich wohl der Torero bleiben. Ich setze an zum Gnadenstoß und warte auf das Olé meines Publikums!« Worauf alle unisono riefen: »Olé!«


© Dr. Michael Titze
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