NDR Info - Redezeit, 01.04.2010
 
Wir sind nicht lustig - oder? Die Norddeutschen und der Humor (gekürzt)
 
Moderation: Markus Schubert
 
 
Markus Schubert: Mehr netto vom brutto - hilft eine Steuerreform aus der Konjunkturkrise diskutieren Sie mit unseren Finanzexperten ... Nein, ich wollte nur meine Studiogäste erschrecken.
Willkommen zur Redezeit am 1. April. Schon die Nennung dieses Datums müsste Sie in Erregung versetzen, denn da lauert der Scherz schon an der nächsten Ecke.
Wem kann man trauen, wer führt einen aufs Glatteis. Ein wunderbarer Tag um über Lachen und Humor zu reden.
Der 1. April ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Jemand in den April schicken. Vor einem Jahr hat der Stern schon getitelt »Aprilscherz in der Krise?« Heute haben es 57 Radiosender in Deutschland mit Erfolg versucht, NDR2 war auch dabei. Alle gemeinsam haben gemeldet und darüber diskutiert: »Ein Cent Porto auf jede Email in Deutschland, um die Staatsfinanzen zu sanieren.« Schöne Idee, war aber leider nur ein Scherz.

Dr. Michael Titze, Psychologe, psychologischer Psychotherapeut, zuhause ist er in Tuttlingen in Baden-Württemberg, aber überall wo er ist, wird viel gelacht, auch als Therapie, aber dazu kommen wir später noch.
Wer lacht denn über wen beim Aprilscherz, wenn alles gut funktioniert?

Michael Titze: Na ja, das ist eine ganz einfache erklärt. Es lachen die Kompetenten, Klugen, die Gescheiten, die Gewitzten über die Blöden. Das alles hört sich jetzt natürlich ein bisschen provokativ an: Ich werde es deshalb später näher erklären.
Das Ganze hat auch etwas mit unseren Erfahrungen als Kinder zu tun. Wer hat Lügengeschichten erzählt? Das waren die Eltern sowie ältere Kinder, die die jüngeren damit vorgeführt haben und dadurch dann den Beweis hatten, dass sie tatsächlich klüger, kompetenter sind.
Ältere Kinder haben es ja nicht immer leicht. Sie werden, wenn das jüngere Baby dann kommt, entthront. Plötzlich hat man nicht mehr so viel Zeit für sie und die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf das jüngere Kind. Damit entsteht natürlich erst einmal eine Verunsicherung, da entsteht wahrscheinlich auch so etwas wie ein latenter Minderwertigkeitskomplex. Was macht man da als älteres Kind? Man macht das kleine Kind zu einem Dummerchen und genau das ist eben auch der Ursprung des Aprilscherzes.

Markus Schubert: Aber warum machen das die Erwachsenen dann und warum machen es die Medien so gern?

Michael Titze: Das ist uns erhalten geblieben, das ist eine tiefenpsychologische Theorie. Ich bin Tiefenpsychologe und das ist eine faszinierende Sache, weil ich ja den ganzen Tag über die Kindheit spreche. Da kommen dann manchmal Berichte, Erinnerungen, die ganz schön schadenfreudig sind und zeigen, wie viel es für ein Kind, das zunächst einmal fragt: »bin ich denn überhaupt noch so viel wert wie mein jüngeres Geschwister?«, so viel Spaß dann entsteht, wenn dieses dann dokumentiert, ich bin besser, ich weiß mehr.
Wenn es dann das kleinere Kind dazu veranlasst, was so richtig komisch ist.
Wenn dann drüber gelacht wird, wird in diesem Augenblick sofort das Selbstwertgefühl gesteigert und genau diese hämische Schadenfreude, die finden wir im Aprilscherz. Aber auch in den Comedys, das finden wir eigentlich überall im Alltag.

Markus Schubert: Aber eigentlich, wenn's gut läuft, dann sollte am Schluss auch der lachen, der in den April geschickt wurde, weil er gewissermaßen dann erlöst wird und in der normalen Realität ankommt und vielleicht aus seiner peinlichen Lage kommt.

Michael Titze: Kinder, kleine Kinder können das noch nicht. Aber wenn wir das als Erwachsene können, dann haben wir Humor. Humor ist die Fähigkeit, über das zu lachen, was eigentlich unangenehm ist. Wir relativieren ein Minuserlebnis, und indem wir das machen, zeigen wir auch Größe.

Markus Schubert: Hans Scheibner habe ich bisher nur lachen gehört. Lachen ist ja auch gut. Er erzeugt Lacher und lacht seit Jahrzehnten und ist einer der dienstältesten Kabarettisten, Satiriker, Liedermacher der Republik. Ihn also vorzustellen heißt, Eulen nach Athen tragen. Die Sendung Scheibnerweise die darf man erwähnen, Satiriken, Kolumnen, Bühnenprogramme.
Können sie das bestätigen, hat sich die Höherwertigkeit des Humors nach unten bewegt? Ist mehr Schadenfreude im Business?

Hans Scheibner: Nein, ich finde oder ich muss sagen, ich verstehe überhaupt nichts von Humor, zumindest nicht so akademisch, wie das Herr Dr. Titze kann. Das ist ja sagenhaft, dass man endlich mal weiß, was da eigentlich los ist. Ich meine, Schadenfreude gibt es ja nicht nur am 1. April, sondern hofft man ja, dass man mit dem Humor oder mit der Satire bei denen, die sich eigentlich für die Klugen halten und in Wirklichkeit aber viel Unheil anrichten, dass man denen mal die Maske vom Gesicht reißt. Ich habe auch einmal ein April-Gedicht, ein lyrisches Gedicht geschrieben, das ist etwas länger, sehr zart und es heißt auch «Das große Aprilgedicht«:

Marion, Dein Mann ist gestorben
Hurra
April, April ist gar nicht wahr


Das war nun doch nicht so lang, wie es sein musste, aber es ist Georg Kreisler gewidmet. Ich weiß nicht, ob man darüber lachen kann. Es ist keine Schadenfreude, sonder das ist also Mitleid. Zum 1.April habe ich eigentlich gar nicht so viel zu sagen, wenn man nämlich so das ganze Jahr die aktuellen Nachrichten, auch auf NDR info, so hört, dann denkt man, das ist alles April, das sind alles Aprilscherze, das kann doch gar nicht wahr sein, was wir momentan so alles hören, von der Kirche und sonst wo, da denkt man sich: »Wo bin ich hier eigentlich?« Deswegen ist auch kein großer Unterschied zum 1. April.

Markus Schubert: Wenn Sie auf eine Bühne gehen, in ein Studio gehen, wollen sie Menschen zum Lachen bringen oder ist das ein Nebeneffekt und sie wollen eigentlich den Ernst der Lage aufzeigen und das geht alles nur, wenn die Menschen glauben, es gibt was zum Lachen?

Hans Scheibner: Ich bin ja kein Comedian in dem Sinne und auch kein Witzeerzähler. Man baut hin und wieder einen kleinen Witz ein. Da habe ich erst einen Witz gelesen, einen über Psychologen, der ist ganz nett: »Da kommen zwei Psychologen gerade aus der Universität und sehen auf der Straße einen Mann, zusammengeschlagen und vollkommen blutüberströmt, so liegt er da mit gebrochenen Knochen und da sagt der eine Psychologe zum anderen: Also wer das getan hat, dem müssen wir aber dringend helfen ...«

Markus Schubert: Darf man nur über Autoritäten, über Mächtige lachen?

Hans Scheibner: Nein, es ist doch viel schöner, mal die Sachen aus dem täglichen Leben zu nehmen, die uns allen begegnen. Das Schönste ist dann, wenn sich Zuhörer oder Leser auch darin wieder erkennen und sagen: »Genau so ist das.« Das versuche ich manchmal, was mir aber nicht immer gelingt.

Markus Schubert: Worüber können sie nicht lachen?

Hans Scheibner: Über bestimmte Sachen. Ich kann über Faschisten nicht lachen und ich kann auch über das, was derzeit in der Kirche passiert nicht lachen. Ich habe in der Zeitung, in der ich immer schreibe, in der FAZ, gerade einen Artikel geschrieben: »Ich möchte feststellen, ich bin nicht Papst und ich möchte auch nicht mit irgendwelchen anderen zusammen Papst sein. Auch wenn eine Boulevardzeitung mich dazu machen wollte, ich möchte das hier noch mal betonen: Ich bin nicht Papst und ich will auch mit niemand anderem zusammen Papst sein. Die Gründe brauche ich hier gar nicht zu erwähnen, ich bin nicht Papst, das wissen auch hier meine Hörer: Ich bin nicht Papst. Wenn sie Papst sind, dann ist das ihre Sache. Wenn ich dann eines Tages zur Himmelsbehörde komme, dann werde ich das erwähnen: Ich habe das rechtzeitig gesagt: Ich bin nicht Papst, sonst lassen die mich da oben nicht rein.

Markus Schubert: Können sie über Fasching lachen, über Karneval und im Karneval oder ist das dann eine Zeit, wo sie sich eine Auszeit nehmen?

Hans Scheibner: Wissen sie, das ist natürlich auch eine Niveau-Frage. Ich meine, warum soll man da nicht drüber lachen können, es gibt ja richtig gute Karnevalisten, es ist immer eine Frage der Qualität. Ich glaube, da gibt es einen Mentalitätsunterschied und den muss man auch erst einmal erfahren, im Kölner Karneval muss man, so glaube ich, erst einmal eine Flasche Wein getrunken haben, bevor man darüber lacht. Aber im Übrigen benutze ich das immer, weil ich finde, wenn wir was gehört haben: Daimler Korruptionsvorwürfe, dann braucht man doch nur noch tätää tätää tätää sagen.

Markus Schubert: Ilse Dörr, aus Hamburg, sie hat uns angerufen.

Ilse Dörr (am Telefon): Ich möchte etwas beitragen, zu dem was der Tiefenpsychologe anfangs gesagt hat, nämlich dass die älteren Geschwister die jüngeren in den April schicken. Das kann ich so nicht bestätigen. Als ich so ungefähr 12 Jahre alt war, hat mein Vater mich in den April geschickt. Und zwar hat er mich zu einem Bekannten geschickt, ich sollte dort einen Bethobel holen. Ich liebte meinen Vater sehr und glaubt alles, was er sagte. Ich musste 20 Minuten zu Fuß dorthin gehen, kam dort an und die sagten mir: Mein liebes Kind, er hat dich in den April geschickt. Ich muss heute noch sagen, das hat mich so gekränkt, dass ich immer noch davon gekränkt bin. Obwohl ich 74 Jahre alt bin, habe ich das noch immer im Gedächtnis. Also so böse kann ein In-den-April-schicken auch sein.

Hans Scheibner: Also früher in der Werkstatt, da wurde ich losgeschickt, ich sollte das Augenmaß holen, musste da so einen riesigen Amboss schleppen und ich kam mir auch doof vor.

Ilse Dörr: Aber wenn ein Mensch den man liebt das macht, dann kränkt das.

Michael Titze: Was Sie da gesagt haben, ist interessant. Also Ihr Herr Vater ist wahrscheinlich kurzfristig regrediert auf sein inneres Kind, und in dem Augenblick war er nicht mehr der Vater, sondern war eben das kompetente große Kind, das sich dem kleinen Kind, also Ihnen gegenüber, in dieser Weise profiliert hat. Wahrscheinlich hat er das auch gar nicht gemerkt, aber er hat einfach seinen Spaß gehabt. Was Ihnen dann passiert ist, sie haben sich geärgert! Und deswegen komme ich jetzt ganz kurz noch auf die zweite Variante der Schadenfreude zurück. Natürlich fühlt sich das jüngere Kind dauernd irgendwie entwertet, kleingemacht und dann passiert natürlich das, was es in Familien, aber auch im Alltagsleben gibt, dass jetzt das kompetentere Kind, der Mächtige, der Politiker oder der Papst zum Beispiel, plötzlich auf der sprichwörtlichen Bananenschale ausrutscht oder sonst wie zu Fall kommt. Und dann entsteht so etwas wie ein Gefühl der ausgleichenden Gerechtigkeit. Das ist ein Ventil für den menschlichen Gerechtigkeitssinn. Da kann man nämlich sagen: Schau mal, auch der, der immer so stark ist oder so stark sein will, der so überlegen sein möchte, der ist jetzt endlich einmal zu Fall gekommen. Ich denke, wenn es das nicht gäbe, dieses Ventil, dann wären die Machtverhältnisse so starr und so zementiert, dass das Leben gar keinen Spaß mehr machen würde.

Ilse Dörr: Ich möchte eigentlich den Eltern den Rat geben, das mit ihren Kindern nicht zu machen, weil dass das Urvertrauen erschüttert.

Michael Titze: Gebe ich ihnen Recht

Hans Scheibner: Was Herr Dr. Titze da sagt, das finde ich ja auch sehr richtig. Es betrifft ja eigentlich noch viel mehr, weil das betrifft jetzt das Vater-Kind Verhältnis, den 1. April.
Aber eigentlich hat die Satire nicht nur eine Ventilfunktion, sondern sie kann ganze Staaten stürzen und sie wird auch von den Herrschenden verfolgt und sie wissen ganz genau, dass sie sie ärgert. Sie wissen ganz genau, dass das Volk nicht einfach nur die Schadenfreude ausdrückt, sondern dass sie denjenigen, die sich häufig so wichtig vorkommen oder ihre Wichtigkeit immer so herausstellen und anderen moralische Tipps geben, dann ist das mehr als ein Ventil. Sie müssen sich danach richten, sie müssen sich danach verhalten, was ihnen die Satire sagt.
Wie viele Satiriker, vor allen Dingen auch in der Ex-DDR, wenn man darüber nachdenkt, mussten deswegen in den Bau gehen, nur weil sie die Wahrheit gesagt haben, auf satirische Weise.

Michael Titze: Vergessen Sie nicht das Dritte Reich: Da gab es das Kritikaster-Gesetz! Wer da nur einen Witz erzählt hat, in dem die Mächtigen lächerlich gemacht wurden, der hat Glück gehabt, wenn er nur ins Gefängnis oder KZ gekommen ist. Da ging es einem leicht an den Kragen! Daran sieht man. was für einen Potenzialität in dieser Art von Humor steckt. Also man kann tatsächlich ein ganzes System erschüttern.

Hans Schubert: Auch wenn Satiriker, Humoristen aussprechen, was vermutlich sehr viele denken, aber vielleicht noch nicht auf den Punkt gebracht haben.

Hans Scheibner: Sie sprechen es eben nicht nur einfach aus, sondern sie stellen die Diskrepanz zwischen den großen Ansprüchen und der Wirklichkeit dar und deswegen lachen die Leute auch.

Michael Titze: Das was Sie ansprechen, das ist die Welt von Till Eulenspiegel. Da wird ein Spiegel vorgehalten und in diesem Spiegel sehen sich auch die Mächtigen, wie sie eigentlich auch sind, nämlich Kinder, die Angst um ihr Profil, um ihre Bedeutung haben und die alles tun, um das zu überspielen. Wenn diese Menschen dann einmal diesen Spiegel vor Augen geführt bekommen haben, dann sieht man sie so, wie sie wirklich sind.

Hans Schubert: Nun Krischan Bauer. Worüber lachen sie und worüber nicht?

Krischan Bauer (am Telefon): Ich habe eigentlich zwei Punkte und zwar einmal, dass ich als Kind in Italien aufgewachsen bin. Es geht ja um den Aprilscherz und dort gibt es eine seltsame Sitte, die wir damals alle sehr lustig fanden: Man bastelt kleine Silhouetten, in Form eines Fisches und versieht die mit einem kleinen Haken, das ist der »pesce d'aprile«, der Aprilfisch.
Es geht darum, diesen Aprilfisch unbemerkt einer anderen Person an den Rücken zu heften und zu hoffen, dass sie so lange wie möglich damit durch die Gegend läuft und dies nicht bemerkt. Das Schöne daran ist aber, dass es da eben nicht so ein Gefälle gibt, der Schlaue macht das mit dem Dummen, sondern dass die Kleinen den Großen das auch einmal zufügen konnten. Es war ein großer Triumph, dies dem Lehrer hintenan zu heften, das eben nicht die Starken auf die Schwachen hauen.
Die andere Kerbe in die ich noch hauen möchte sind die Schiffsleute. Dort gibt es eine sehr angenehme Art von Humor, dass eben nicht einer auf den anderen hackt, sondern sich gemeinsam über eine brenzlige Situation lustig zu machen, dass selbst, wenn einem auf norddeutsch ausgedrückt, einem der Ar** auf Grundeis geht, man immer noch ein kleines Grinsen im Hinterkopf behält und versucht eine humorvolle Distanz dazu zu bewahren.

Hans Schubert: Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Krischan Bauer: Es war ein ganz schlimmer Orkan angesagt und der Kapitän musste uns das nun beipulen und er sagte: »Also liebe Leute erst mal die gute Nachricht: Staubfrei und keine Mücken.« Danach mussten wir uns in eine Bucht verkrümeln, sind die Nacht vor zwei Ankern gelegen, haben die Maschinen noch anlaufen lassen und trotzdem sind wir rückwärts gerutscht, aber es war immer noch dieser Korn Witz dabei. Wir haben uns alle quasi über das Schicksal lustig gemacht und das war eben angenehm, weil es keine Schadenfreude war, sondern die Gemeinschaft gestärkt hat, statt sie zu spalten.

Hans Scheibner: Dieser Fisch ist doch wohl auch Anlass für den Wissenschaftler oder?

Michael Titze: Da wird natürlich analysiert und es ist interessant. Der Fisch gilt ja, auch in der Antike schon, als ein besonders dummes Tier. Er schluckt den Köder, geht an den Haken. Er lässt sich also einfangen und ist dann, am Haken, nicht mehr in der Lage, sich so zu bewegen und sich so einzurichten, wie das eben ein Mensch macht, der seine Verfügungsgewalt hat. So ist der Fisch ein Symbol für ein sehr dummes Geschöpf. Das ist das Grundprinzip, denn es geht immer darum zu zeigen: Ich bin weniger dumm als z.Bsp. der Lehrer, der nicht gemerkt hat, dass man ihm hinten diesen Fisch angeheftet hat.
Das scheint etwas ganz Archaisches zu sein, etwas, was wir brauchen, um uns selbstsicher zu fühlen. Wir brauchen immer wieder die Bestätigung, dass wir ganz anders sein können als die Dummen. Die einfachste Möglichkeit ist, dass man ins Kabarett geht oder sich eine Comedy-Sendung anschaut und dann das sozusagen miterlebt, wie es ist, wenn irgendwer vorgeführt wird. Wenn es dann ein Mächtiger ist, einer der so tut, als ob er über allem steht, dann ist das natürlich besonders schön.

Markus Schubert: Lassen sie uns nochmal auf den Karneval schauen. Ist das so ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Effekt, immer normaler Bankangestellter und dann im begrenzten Rahmen, wenn alle Konventionen aufgehoben sind, die Sau rauslassen. Ist das gut für die Psyche?

Michael Titze: Ja, da könnte man tiefenpsychologisch sagen, hier geht es um das Lustprinzip. Wir sind ja im Alltag im Normalitäts- oder Realitätsprinzip gefangen. Wir müssen Rollen spielen und wir müssen uns ganz genau an das halten, was von uns erwartet wird, speziell im Berufsleben. Und dann kann man einmal im Jahr sozusagen die Sau rauslassen, man kann aus der Rolle fallen. Im Karneval, sehr interessant, kann man sich auch als ein sehr mächtiger Mensch darstellen, als König oder als Pirat, als irgendjemand, der sehr viel mehr Möglichkeiten hat als der betreffende Mensch in seinem Alltagsleben. Und das ist ein Lustgewinn.

Frau Wicke (vom Karnevalsverein aus Hannover): Da muss ich mich doch einschalten. Ich sah das natürlich unter einem ganz anderen Aspekt. Aus der Rolle fallen und die Sau rauslassen, das kann ich natürlich, wenn ich irgendwo anonym auf einer Party bin. Wir als Karnevalisten, wir hampeln ja jetzt nicht wahllos auf der Bühne rum, sondern wir bieten unseren Mitgliedern natürlich schon eine Plattform, ihre Talente zu entdecken. Natürlich gibt es da den Bankangestellten oder den Manager der zum Beispiel auf der Bühne steht und singt, beim Männerballett mitmacht oder beim Kabarett. Es gibt ganz viele unterschiedliche Sparten und die Sau rauslassen ist das eine, aber das ist wirklich ein hartes Training, das bei unserem Programm auch dahintersteht. Natürlich feiern wir hinterher auch, wollen richtig Spaß haben. Der Hannoveraner kann auch richtig witzig sein, ohne vorher einen Eimer Rotwein getrunken zu haben.

Michael Titze: Da gibt es natürlich ein Nord-Süd-Gefälle. Ich komme aus dem äußersten Süden, aus dem schwäbisch-alemannischen Bereich. Dort präsentieren sich in der Fasnacht Teufel, Geister und Hexen in einer Art und Weise, die manchmal richtig Angst machen könnte, zum Beispiel, wenn die Hexen auf ihren Besen losspringen und junge Mädchen einfangen.
Diejenigen, die das als Narren machen, die erzählen dann hinterher, sie hätten gespürt, dass da sehr viel mehr in ihnen steckt, als das, was sie das ganze Jahr über tun dürfen. Da kommt dann das Lustprinzip heraus. Und die Betreffenden sind dann plötzlich jemand anderer: sprichwörtlich ein richtiger Teufel! Und das macht Spaß.

Markus Schubert: Herr Dr. Titze, warum müssen wir denn lachen? Wir gehen davon aus, dass das erstrebenswert ist. Lebt es sich wirklich leichter oder kann man auch griesgrämig durchs Leben gehen und wird auch bestätigt?

Michael Titze: Jetzt kommt ein wissenschaftlicher Begriff, der ist kein Fake, die Gelotologie, abgeleitet von »gelos« = das Lachen und »logie« heißt Wissenschaft. Die Gelotologie hat sich in Kalifornien etabliert und wird heute an vielen Universitäten ganz ernsthaft betrieben wird.
So hat die Gelotologie festgestellt, dass das Lachen eine unwillkürliche Reaktion auf eine als angenehm empfundene Emotion ist. Man spricht sogar von einem Luxusreflex.
Das ist die Folge einer Verblüffung, die zustande kommt, wenn etwas, was man so gar nicht erwartet hat, plötzlich eintritt, wenn zum Beispiel jemand aus der Rolle fällt. In diesem Augenblick muss man lachen!
Und was passiert dann in diesem Lachen? Zunächst einmal wird die Atemfrequenz erhöht, das wissen wir ja alle. Lachatmung heißt das: Also tief einatmen und schnell wieder ausatmen. Dadurch wird das Zwerchfell ebenso massiert wie die inneren Organe. Deswegen macht man sich auch manchmal vor Lachen in die Hosen.
Dann werden die Bronchien geweitet, was dazu führt dazu, dass die Lunge durchlüftet wird. Und mehr Sauerstoff in die Lunge gelangt. Von dort aus wird dieser Sauerstoff über das Blut ins Hirn transportiert, so dass man spritzig wird, und in seinem Denken auch kreativer wird.
Dr. Mandan Kataria, Arzt von mittellosen Patienten in einem Slumviertel Bombays, hatte eine tolle Idee, nachdem er die Befunde der Gelotologie gelesen hatte. Er sagte sich: Ich müsste doch einfach versuchen, die Leute zum Lachen zu bringen, damit diese positiven Effekte, die sich aufgrund des Lachens ergeben, induziert werden. Er hat dann also in einem Park erst Mal Menschen versammelt und denen Witze erzählt, was aber nicht so richtig funktionierte. Dann hat er eine schon bekannte Yogaform, das Hasya Yoga, verwendet und das ist eine Atemtechnik, die mit Lachen einhergeht. Die Leute haben dann sehr einfache Übungen gemacht, was Sie sich auch in den Lachclubs anschauen können. Dort darf nicht geredet werden. Es werden einfache Übungen gemacht, dazwischen wird in die Hände geklatscht und dann geht's wieder weiter mit diesen einfachen Übungen. Allmählich kommen die Leute in ein Lachen, das man als Reflexlachen bezeichnet. Anfangs ist es noch nicht sehr spontan, deswegen sagt Kataria: Fake it, then make it - mach einfach so, wie wenn du lachst! Und nach 3 oder 4 Minuten ist man dann drin und dann lachen die Leute tatsächlich eine halbe Stunde am Stück. Sie sind dann hinterher toll aufgestellt, sie sind vor allem sozial ganz anders eingestellt. Deswegen spricht man auch davon, dass Lachen ein soziales Schmiermittel ist und, was ich sehr interessant finde, das Yoga-Lachen hat sich über die ganze Welt ausgebreitet. Inzwischen gibt es schätzungsweise 300.000 Menschen, die regelmäßig in die Lachclubs gehen, um Lachyoga machen. Das ist etwas, was sich auch in Deutschland so verbreitet hat, dass es fast in jeder Stadt so etwas gibt, und ich denke, das ist wirklich eine kleine Revolution, die vorbeigeht an den offiziellen Möglichkeiten, um zum Lachen zu kommen, also den Comedys oder auch dem Karneval oder der Fasnacht.
Das ist eine ganz neue Möglichkeit, um Lachen zu erleben. Dass das gerade heutzutage so gut ankommt, dazu gibt es natürlich viele Vermutungen. Das kann mit der Globalisierung zusammenhängen oder der Vereinzelung der Menschen oder der Unfähigkeit, sich in einer lockeren Weise mit anderen zusammen zu tun. Ich halte es wirklich für eine ganz positive Entwicklung. Denn häufig sind es sehr einsame Menschen, die in diese Lachclubs kommen, wo sie auch gar nichts über sich erzählen müssen, sondern nur eines machen sollen: miteinander lachen. Hinterher fühlen sie sich nicht nur persönlich besser, sondern ihre sozialen Fähigkeiten haben sich fast immer verbessert.

Markus Schubert: Reden wir noch mal über das anlasslose Lachen, das ist kein Aprilscherz. Es sind Menschen, die versammeln sich, dann gibt es körperliche Lockerungen, dann gibt es Rufe Ha-Ha, Ho-Ho. Langsam findet dann ein künstliches Lachen statt, dass dann in ein echtes Lachen in der Gruppe übergeht?

Michael Titze: Das ist das Phänomen des Lachens, dass es ansteckend wirkt. Die Menschen, die in die Lachclubs gehen, sind häufig humorlos, das sagen sie selber. Sie sagen zum Beispiel, ich kann keine Witze erzählen, und ich kann auch nicht lachen, wenn Witze erzählt werden, selbst wenn das ein so toller Kabarettist macht, wie wir ihn hier unter uns haben. Diese Menschen haben ein gefühltes emotionales Defizit und dann kommen sie in eine dieser Gruppen von Kataria, wo sie gar nicht viel machen müssen. Das ist das Reduktionsprinzip. Sie müssen nur mitlachen, was am Anfang noch sehr verkrampft sein kann, und dann merken sie, je mehr sie lachen, desto stärker springt etwas an. Das scheint ein Reflex zu sein, der zum Menschen dazugehört. Wir kennen das aus der Beziehung zwischen Mutter und Kind: Wenn das Kind lacht, dann lacht die Mutter auch und umgekehrt. Es gibt auch Schulhöfe auf denen gelacht wird ohne Anlass, ohne einen besonderen Grund, und dieses Lachen ist ansteckend! Dieses Lachen hat offenbar eine so wichtige Bedeutung, dass immer mehr Leute zu der Lachclub-Bewegung stoßen. Es gibt in Kopenhagen am Weltlachtag, das ist der erste Sonntag im Mai, eine Großveranstaltung, zu der Tausende von Menschen kommen, aber auch in Deutschland gibt es an allen größeren Orten inzwischen Aktivisten, die nach dieser Methode lachen.
Was ich damit sagen will ist, lachen zu können ist sehr einfach. Humorvoll zu sein und über Witze lachen zu können, das bedeutet, dass man natürlich auch seinen Grips, seinen Verstand involvieren muss. Wenn das jemand nicht kann, könnte das den traurigen Effekt haben, dass dieser Mensch sich dann in Minderwertigkeitsgefühle hineindenkt. Deswegen, so meine ich, ist das eine wunderbare Möglichkeit für Menschen, die vielleicht meinen, dass sie humorlos sind, um ins Lachen zu kommen.

Markus Schubert: Dr. Kataria, der Erfinder des Lachyoga, sagt ja: Wir lachen nicht, weil wir glücklich sind, sondern wir sind glücklich weil wir lachen.

Hans Scheibner: En ganz anderes Thema ist ja, wer nun über jeden Blödsinn lacht ist irgendwo auch nicht in Ordnung. Es gibt Menschen, die nur über einen guten Witz lachen. Für mich ist immer ein Phänomen, das ich manchmal Leute kennen lerne, die finde ich toll, die gefallen mir auch, die halte ich auch für sehr intelligent. Wenn die dann aber einen Witz erzählen, dann bin ich manchmal enttäuscht und denke, so ein Quatsch und das findet der nun witzig. Da gibt es doch auch Nuancen, Unterschiede. Was sind z.Bsp. gute Witze, gute Pointen und was schlechte. Früher hat man gesagt, dass man keinen unanständigen Witz erzählen darf.

Michael Titze: Schlechte Witze können gute Pointen haben. Harald Schmidt sagte einmal:
»Wenn ich die Leute wirklich zum Lachen bringen will, dann muss ich, ob ich es will oder nicht, Zoten erzählen.« Das ist schon eine Befreiung: Im Allgemeinen sind wir in der Rolle als Alltagsmenschen, in der wir uns gut benehmen müssen - und plötzlich haben wir die Möglichkeit etwas zu tun, zu sagen, was wir eigentlich nicht tun dürfen, was wir aber als Kinder vielleicht sehr gerne getan oder gesagt haben. In diesem Moment kommt es zu einer Freisetzung von Aggressivität, und zwar von einer durchaus harmlosen, eben kindlichen Aggressivität. Deswegen sagt man: Lachen entsteht, wenn Aggressionen schuldfrei freigesetzt werden. Wenn ich mir keine großen Gedanken machen darf und muss, ob das, was ich getan oder gesagt habe, von meinem Überich, von meinem Gewissen akzeptiert wird, kann ich frei herauslachen: und das ist eben genau auch das Prinzip der Schadenfreude.

So kommt der Humor von Norddeutschen, aber auch der Briten auf eine sehr bedächtige, leise und etwas hintergründige Art und Weise immer auch ein bisschen sarkastisch daher. Das zeichnet ihn als ein eigenes Können, als eine eigene Kapazität aus, im Unterschied z.B. zum rheinischen Humor. In diesen Landen muss man, wie wir schon gehört haben, vielleicht erst einmal den guten Rheinwein getrunken haben, geschunkelt haben, um dann in die richtige Stimmung zu kommen. Es gibt aber auch den anderen, den verhaltenen Weg. Man kann also über ein Spielen mit der Aggressivität plötzlich merken, dass sich ein Ventil öffnet, und dann genau entsteht ein Lachen, das auch wirklich befreiend ist.

Hr. Kunz-Ribbeck, Hamburg (am Telefon): Es ist ein süddeutscher Beitrag, den ich dazu bringen möchte und zwar: In einigen katholischen Kirchen und Gegenden wird in der Osternacht bewusst gelacht, also dieses Ostergelächter, um damit aufzuzeigen, Jesus hat über den Tod und Satan gesiegt, und da soll der Pastor extra lustige Geschichten in seine Osterpredigt einbauen, damit die ganze Gemeinde in der Osternacht zum Lachen kommt.

Michael Titze: Das Osterlachen war im 16. Jahrhundert sehr angesagt, und da haben sich die Pfarrer tatsächlich wie Clowns verhalten. Sie haben zum Beispiel deftige Witze über Petrus erzählt, der als Zechpreller hingestellt wurde. Sie haben sich teilweise sogar vor dem Altar auf dem Boden gewälzt und haben dann IA-Laute von sich gegeben, weil sie sich als Esel dargestellt haben. Damals ging es darum, dass derjenige Pfarrer, der begnadetste war, auch vor dem heiligen Geist, der die Leute möglichst schnell zum Lachen gebracht hat, und zwar aus der Vorstellung heraus, dass die Religion, der Glaube auch etwas ist, was uns zum Frohlocken bringen kann, was uns dazu bringen kann, die Sorgen des Alltags abzustreifen. Das ist heute natürlich nicht mehr möglich, aber wenn man sich die Literatur von damals durchliest, dann ist das teilweise schockierend, was es da an deftigem, durchaus aggressivem Humor gegeben hat.