Nach Sigmund Freud löst der Humor verdrängte Sexualprobleme. Im einfachen Umkehrschluss müsste es also heißen: Die Deutschen haben keine Sexualprobleme, sie leiden nicht, haben einen schlechten Kreislauf, sind bescheiden und verzichten auf aggressives Verhalten. Denn die Deutschen sind humorlos - sagen jedenfalls die anderen Nationen. Doch so einfach ist es wohl doch nicht mit dem Humor.
Vielmehr hat die Menschheit seit Anbeginn nicht nur ein ewiges, sondern auch vielfältigstes Gelächter aus unterschiedlichen Anlässen, Gründen und zu verschiedensten Zwecken angestimmt.
Angefangen vom Urmenschen, der zähnefletschend sein Zusammengehörigkeitsgefühl zur Gruppe signalisierte, ist das Lachen variabelstes Ausdrucksmittel. Sogar die messwütige Psychologie der Neuzeit ist daran gescheitert, das Lächeln, Kichern, Glucksen oder Schmunzeln einwandfrei zu katalogisieren.
So wissenschafts-sprengend menschlich können wir also sein. Komisch: Wir sind es nicht. Jedenfalls nicht mehr. Eine Umfrage ermittelte nämlich, dass unsere Zeit keine Zeit mehr zum Lachen habe. Das mag einmal an den akuten wirtschaftlich schlechten Zeiten liegen, aber auch daran, dass zu allererst am Humor gespart wird. Das jedenfalls meint einer, dem Lachen Lebensthema ist: Dr. Michael Titze aus Tuttlingen:
»Die Tatsache, dass Lachen auch etwas Zeitintensives sind, bezieht die Nützlichkeitsfrage ein: Zeit ist kostbar, Zeit ist Geld, und da stellt sich die Frage, ob unsere kostbare Zeit es überhaupt wert ist, sie in etwas so Banales, so Einfaches wie das Lachen zu investieren. Und es ist richtig, dass viele Menschen denken, es gibt so viel Wichtigeres, was noch zu erledigen wäre - wie könnte ich mir da noch die Zeit nehmen zu lachen?«
Michael Titze, für den ein tägliches Lachtraining Grundlage des Wohlbefindens ist, gehört zu jenen seltenen Deutschen, die endlich eine Lücke schließen: Lachforschung gibt es bei uns noch nicht, im Ausland gehört sie zur Tradition. Doch Humor ist für Dr. Titze auch therapeutisches Mittel: Stimmen seine Patienten ein befreiendes Gelächter an, sind sie bereits aus dem Gröbsten raus. Lachen ist gesund. Dieses Sprichwort machen sich längst internationale Therapieeinrichtungen zu eigen. Zum Wohle all jener, die das Lachen gründlich verlernt haben. Meist ganz früh im Leben:
»Das fängt schon früh an. Wir brauchen nur an die Situation in der Schule zu denken. Was passiert, wenn Kinder kichern oder wenn sie laut losprusten? Wird das nicht in vielen Fällen das deutliche Missfallen der Erzieher erregen? Lachen gilt nach wie vor als Ausdruck von Unreife und Ausdruck einer wenig ernsthaften, wenig realitätsbezogenen Lebensführung und ich könnte mir vorstellen, dass Kinder sehr schnell merken, dass Lachen eher etwas Negatives ist.«
»Lass die dummen Witze«, »Pruste nicht los im Unterricht, beim Essen«, »Lautes Lachen ist auf den Schulgängen verboten«, Das Lachen, wird Dir noch vergehen«. Zahllose PädagogenTitze ist überzeugt, dass kaum jemand dieses Exempel wagen würde - einfach weil die sogenannte »gute Kinderstube« zu gut war:
»Menschen, die im Laufe ihrer Entwicklung dazu übergegangen sind, immer besser sein zu wollen, im Sinne dessen, was 'man' zu tun hat, was sich gehört, diesen Menschen kann das Lachen - und damit der Humor insgesamt - leicht vergehen! Denn das, was wir als seriös bezeichnen, ist doch immer in Abhängigkeit zu sehen von dem, was die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze - Knigge, gute Kinderstube, Höflichkeit - des sozialen Lebens fordern. Und wenn ein Mensch diese Benimm-Zwänge immer mehr perfektioniert, wird er am Ende kaum noch etwas zu lachen haben.«
Da hilft dann nach Ansicht der Lachforscher eigentlich nur eines: der Rückweg in die eigenen Klein-Kinderschuhe:
Michael Titze: »Ich könnte mir vorstellen, dass die Melancholie das Gegenbild zur lachenden Ausdrucksweise eines unbeschwerten kleinen Kindes ist , das sich in einer ganz unbefangenen, spontanen Weise des Lebens erfreut. Traurige Kinder stellen unter Beweis, etwas Elementares verloren zu haben. Sie sind nicht mehr fähig Lebenslust im Sinne der ursprünglichen Bedeutung zu empfinden, die sich aus dem Zusammenhang von 'Lust' und 'lustig' sein herleiten lässt.«
Nicht immer je doch liegt einem das spontane Lachen als Ausdruck von Lebensfreude und Optimismus auf der Zunge. Und man kennt den traurigen Clown oder den privat ernsthaften Berufsunterhalter gut genug, um zu wissen, dass Humor das Werk harter Arbeit sein kann. Eine Arbeit, der sich heute immer mehr amerikanische Manager unterziehen, die in sogenannten Lachgruppen Entspannung vom Stress suchen. Humor kann man aber auch selber lernen: Wem das Lachen gelingt, wenn der volle Putzeimer die Treppe hinunterfällt, kommt meist auch mit anderen Problemen schmunzelnd zurecht. Humor hilft nämlich, ein Stück von den Schwierigkeiten des Lebens Abstand zu nehmen, »neben« sich selbst zu stehen.
Sigmund Freud rühmte, denn auch die Fähigkeit zum Galgenhumor, der österreichische Psychiater Viktor E. Frankl das Lachen als »Trotzmacht des Geistes«. Frankl selber übte sich darin, als er jahrelang seinen Mithäftlingen im Konzentrationslager Humor als Überlebenstraining beibrachte. Und jeder kennt trotzige Witze wie diesen: »Haben Sie noch einen letzten Wunsch?«, wird der Mörder gefragt, als er den elektrischen Stuhl besteigt. »Ja«, sagt dieser, halten Sie mir bitte in den nächsten zehn Minuten die Hand.«
Michael Titze: »Hier kommt natürlich auch Aggressivität zum Ausdruck. Aber ein Mensch, der in einer derartigen Ausnahmesituation in der Lage ist, von einer an sich unerträglichen Realität durch Galgenhumor Abstand zu nehmen, ein solcher Mensch ist in letzter Konsequenz eben auch humaner geworden, indem er über sich selbst hinausgewachsen ist und etwas erreicht hat, was in dieser Situation mit anderen Mitteln vielleicht gar nicht zu erreichen gewesen wäre.«
Lachend über sich selbst hinauszuwachsen - das versucht der Psychotherapeut Titze auch seinen Patienten beizubringen.
Michael Titze: »Jemand, der zum Beispiel Angst hat zu zittern, zu erröten, zu stottern oder anderen peinlichen Äußerungen eigener Unvollkommenheit, der wird aufgefordert, sich fest vorzunehmen, ein Weltmeister im Zittern zu werden, oder so zu erröten, wie es vor ihm noch kein anderer Mensch geschafft hat, oder so zu stottern, dass niemand beim besten Willen kein einziges Wort verstehen kann. Es also darum derartige Symptome ganz bewusst und in einer übertriebenen Weise anzunehmen. Und was steckt hinter dieser 'paradoxen Intention'? Nichts anderes als die Erfahrung, die sich - oft über Jahre - wiederholt hat: Auch wenn ich 'beim besten Willen' versuche, solche Symptome 'wegzubekommen' - sie gehen nicht weg! Ja, sie werden gerade dann noch stärker, wenn dieser 'beste Wille' besonders ausgeprägt ist. Und die Folge ist ein ohnmächtiges Nicht-Können. Also versuche ich einmal das Gegenteil: Ich nehme mir vor, das Symptom bewusst zu verstärken - und will mal sehen, ob ich das wenigstens kann!«
Nach der Therapie der sogenannten »paradoxen Intention« von Viktor Frankl wird bei Patienten mit psychischen Störungen einfach positiv verstärkt, was vorher als Katastrophe empfunden wurde.
Michael Titze: »Stellen wir uns also jemanden vor, der Angst hat, in der Öffentlichkeit dabei ertappt zu werden, wenn er zittert: zum Beispiel beim Halten der Kaffeetasse oder beim Wegtragen des Tabletts, auf dem sich klappriges Geschirr befindet. Dieser Mensch wird seine verkrampfte Selbstkontrolle umso mehr verstärken, je mehr er diese Verkrampfung durch weitere Kontrolle bewusst 'wegbekommen' will. Doch Kontrolle war die Ursache dieser Verkrampfung! Folglich muss etwas ins Spiel gebracht werden, das das Gegenteil dieser Kontrolle ist. Diese 'Gegenkontrolle' aktiviert ein rebellische, anarchische, vielleicht auch chaotische Tendenz, die die krampfhafte Selbstkontrolle ebenso aufhebt wie die dahinter stehenden Benimm-Zwänge, indem sie all dies der Lächerlichkeit preisgibt!«
Auch der Amerikaner Frank Farrelly, der Erfinder der »Provokativen Therapie«, setzt das fröhliche Chaos als Heilmittel ein. Seit einigen Jahren organisiert er Kurse in Deutschland. »Immer wieder«, sagt er, »wenn ich fort bin, kommt dort der Humor wieder abhanden.« Die Wirkungsweise seiner Therapie erklärt Farrelly gern an einem Beispiel. Eine Patientin mit starker Selbstwertproblematik betritt klein und schüchtern das Behandlungszimmer: »Wo soll ich mich hinsetzen?«
»Setzen Sie sich hierher!«
Als die Patientin sich hinsetzen will, sagt der Therapeut barsch: »Stopp, nein, setzen Sie sich da drüben hin!«
Im Kommandoton dirigiert Farrelly die Patientin immer wieder auf einen anderen Stuhl. Plötzlich richtet sich die Frau kerzengerade auf und sagt laut und selbstbewußt: »Zur Hölle mit Ihnen, jetzt setze ich mich dahin, wo ich will!«
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