Es ist ein kostenloses und äußerst wirksames Medikament. Wer täglich eine Minute richtig herzhaft lacht, fühlt sich nach kürzester Zeit bereits sehr viel besser. Diese Volksweisheit ist inzwischen wissenschaftlich fundiert. In der Gelotologie, in der Lehre vom Lachen, ergründen Forscher das Lachphänomen. Was passiert im Körper, was im Kopf, wenn man sich schlapp lacht? Die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass einige Therapeuten in Deutschland seit wenigen Jahren gezielt ihre Patienten zum Lachen bringen. Im zweiten Teil dieser Sendung hören Sie, wie so eine solche Lachtherapie abläuft. Zunächst aber zu den körperlichen Folgen eines Lachanfalls.
Lachen ist harte Arbeit. Brustkorb und Zwerchfell der Frau ziehen sich krampfartig zusammen. Sie krümmt ihren Oberkörper nach hinten, um die straff gespannten Bauchmuskeln zu entlasten und wird so richtig durchgeschüttelt. Das Gesicht läuft rot an und 17 Muskeln arbeiten dort hart. Einer hebt die Mundwinkel, einer sorgt für Lachfältchen an den Augen, ein anderer zieht die Augenbrauen nach unten. Tränen schießen in die Augen. Das Herz pumpt schneller. Der Puls steigt auf etwa 120. Die Lungenflügel blähen sich auf und jagen den Atem mit etwa 100 km/h durch die Luftröhre. Im Zehntelsekundentakt stößt die Frau Stakkatolaute aus ihrer Kehle hervor, bis sie sich völlig schlapp gelacht hat. Lachen ist gesund, sagen Ärzte und Forscher, die in speziellen Lachlabors herausfinden, was mit den Opfern solcher Lachanfälle passiert. Zum einen ist Lachen eine Art Atemtherapie. Wer lacht lüftet die Lungen. Er tauscht drei- bis viermal soviel Gase aus wie im ernsten Zustand. Und weil im Blut mehr Sauerstoff ist, kann der Körper besser Fett verbrennen. Lachen ist auch eine Art Herz-Kreislauf-Training. Das Herz pumpt abwechselnd schneller, und dann wieder langsamer. Wer lacht löst komplexe biochemische Prozesse aus. Sein Körper bremst die Stresshormone Cortisol und Adrenalin, produziert Wachstumshormone und Endorphine, die Schmerz lindern. Botenstoffe lösen Glücksgefühle aus und das Immunsystem aktiviert Antikörper und natürliche Killerzellen. Forscher sind sich einig: Lachen ist eine kostenlose Medizin gegen Asthma, Migräne und Rückenschmerzen. Es ist gut für Haut und Herz, bringt den Kreislauf auf Touren, senkt den Blutdruck und fördert Verdauung und Schlaf. Solide statistische Untersuchungen, die das untermauern, gibt es bisher kaum. Die Forschung bewegt sich noch irgendwo zwischen schwammigen Aussagen und gewagten Hypothesen. Lachen soll einfach bei allem helfen. Eine Minute prusten und gackern am Tag und sexuelle Probleme verschwinden genauso schnell wie Falten aus dem Gesicht oder Rettungsringe von den Hüften. Einige Wissenschaftler behaupten sogar allen Ernstes, Lachen helfe gegen Krebs. Die Lachforschung boomt in Deutschland erst seit ein paar Jahren. Entstanden ist sie bereits in den 60ern, als ein Amerikaner auf die Idee kam, seine schwer entzündete Wirbelsäule, nachdem herkömmliche Methoden nicht gewirkt haben, mit Lachen zu heilen. Er tauschte das Krankenzimmer gegen ein Hotelappartement und lachte sich dort über Witze und Slapstick-Filme schlapp. Die Therapie schlug an und in den USA entstand eine neue Wissenschaft. Gelotologie, die Lehre vom Lachen. In Deutschland ist das Lachen auf Krankenschein noch die Ausnahme. Nur wenige Psychotherapeuten arbeiten mit der heilsamen Wirkung von Gelächter. Einer von ihnen ist Michael Titze, der im schwäbischen Tuttlingen mit Humor heilt. Titze arbeitet sehr stark mit der körperlichen Wirkung von Gelächter. Eine wichtige lachtherapeutische Übung ist das Reflexlachen. Sieben Patienten stehen im Kreis und atmen so tief ein und aus wie sie können. Immer schneller werden sie dabei, bis sie von Titze angefeuert in weniger als einer Minute zu einem kollektiven Lachorgasmus kommen.
Die Patienten liegen inzwischen sternförmig mit den Köpfen in der Mitte auf dem Praxisboden. Ihre Körper zittern und beben, die Augen sind geschlossen. Mit den Händen halten sie sich ihre Bäuche oder schlagen sich auf die Oberschenkel. Eine Frau wirft ihr Becken nach oben, ein älterer Mann schüttelt den glühenden Kopf hin und her. Er ist, wie die anderen, in Trance. Vor seinen Augen stürmen Bilder vorbei, über die er sich schlapp lacht. Etwa 30 Minuten dauert heute der Lachorgasmus. An anderen Tagen bleibt die Gruppe bis zu zwei Stunden auf ihrem Höhepunkt.
Ab und zu hebt jemand seinen Oberkörper, so als ob er aufstehen wollte, doch es gibt kein entrinnen. Wenn ein Patient denkt, er könne nicht weiterlachen, steckt ihn ein anderer mit seinem Gelächter an und er bekommt den nächsten Lachanfall, egal wie sehr Zwerchfell und Bauchmuskeln schmerzen.
Nach der Übung sind die Patienten zwar völlig durchgeschwitzt und fertig, fühlen sich aber sehr wohl. Würde man ihnen jetzt Blut abnehmen, fände man stresshemmende und schmerzlindernde Stoffe und Anzeichen für ein gestärktes Immunsystem. Aber auch psychisch geht es den Patienten nach dem Reflexlachen besser. Während sie auf dem Boden lagen, haben sie intensive Bilder gesehen, oder sind wie der Komiker René Schweizer aus Basel, auf dem halbstündigen Trip einmal um die Welt gesaust:
»Ich sah uns, die ganze Gruppe, auf einem Floß, so auf einem River-Rafting, dieser Typ von Floß, durch das Universum sausen, und keiner hat eine Ahnung, wo es hingeht und wir sind einfach verrückt und lachen uns kaputt. Und das hat mir so Spaß gemacht, und hat mich überhaupt nicht erschreckt, obwohl ich keine Ahnung hatte. Es war einfach schön, mit den anderen Verrückten keine Ahnung zu haben was eigentlich los ist und nur zu lachen.«
Andere haben in der halben Stunde über Situationen gelacht, die ihnen einmal peinlich waren, in denen sie zitterten, schwitzten, stotterten oder erröteten, also völlig blockiert waren. Fast alle Patienten, die Michael Titze in Tuttlingen mit Lachen therapiert, haben Berufe mit viel Verantwortung und leiden am gleichen Problem: Dem Phänomen des doppelten Denkens. Sie fragen sich ständig, was andere über sie denken und geraten in Panik und Depressionen, wenn sie glauben, nicht perfekt zu sein. Titze nennt das Problem seiner Patienten den Pinocchio-Komplex:
»Sobald sie im Mittelpunkt stehen und alle Augen auf sie gerichtet sind, passiert etwas, was ein physiologischer Reflex ist, sie erstarren. Sie spüren, dass sich die Skelettmuskulatur und vor allem auch die Mimik sich so anspannt, dass dann eine Art Maske entsteht. Diese Maske wird freilich als etwas Peinliches empfunden, etwas, das die Mitmenschen zu einem negativen Urteil über das eigene Aussehen bringt, das nicht der allgemeinen Norm entspricht. So kommt es zu einer zusätzlichen Erstarrung. Es entsteht also ein Teufelskreis, der dazu führt, dass manche Menschen schließlich das Gefühl haben, dass sie hölzern werden, dass sie wie ein unlebendiger Organismus, dass sie wie eine Marionette sind - und das genau ist auch das Märchen von Pinocchio! Hier bemüht sich ein hölzerner Junge, Zugang in die Welt der lebendigen Menschen zu finden. Um genau diesen Zugang bemühen sich auch die gehemmten Menschen, deren Art, der Bewegungen &Mac226;hölzern' und verkrampft sind. Auch sie versuchen, wieder dort hinzukommen, wo sie als Kinder gewesen sind: Gemeinschaftsfähig in der Gemeinschaft von Menschen, die locker sind, die sich freuen können, die sich keine Gedanken machen, wie sie auf andere wirken - und die lachen können.«
Titze analysiert mit seinen Patienten zwar unter vier Augen deren Probleme, aber die eigentliche Lachtherapie beginnt in der Gruppe. Erst zusammen mit anderen, die ähnliche Schwierigkeiten haben, können sie ihre inneren Blockaden weglachen. Das Reflexlachen ist nur ein Instrument dafür. Das Herz der Lachtherapie ist das sogenannte Humortheater. In diesem Lachdrama spielt die Gruppe Situationen durch, vor denen ein Teilnehmer besondere Angst hat, aber derart übertrieben, dass dem Betroffenen klar wird, wie absurd seine Panik ist.
Humortheater in drei Aufzügen.
Die Personen:
Michael, 25 Jahre, heute zum ersten Mal dabei.
Kontrolliert sich ständig, weil er Angst hat, dass er vor anderen knallrot anläuft und daher jeder sofort seine Aggressionen sieht. Außerdem ein Clown, fünf andere Patienten und ihr Therapeut.
Erster Akt.
Michael steht mit dem Rücken an der Tür. Ihm gegenüber drei Angreifer, die die anderen symbolisieren: die Gesellschaft, vor der Michael so höllisch Angst hat.
Die drei zeigen mit dem Finger auf ihn und verspotten ihn mit Sätzen, die ihm besonders peinlich sind.
Im zweiten Akt helfen Michael der Clown und zwei andere Patienten. Gemeinsam verspotten sie mit Grimassen und Gelächter die keifende Dreiergesellschaft.
Im dritten Akt wirkt die Provokation. Das Humortheater endet gut, denn anstatt zu denken, warum die anderen ihn auslachen, lacht Michael am Ende über sie. So richtig schallend, dass ihm die Tränen kommen. Eine ganz andere Rolle als noch am Anfang.
Alle Patienten der Gruppe haben im Humortheater schon öfter eine ähnliche Rolle gespielt wie Michael. Und auch in ihrem Alltag leben sie nach dem Motto: Humor ist, wenn man's trotzdem macht und zwar nicht, weil andere das so wollen, sondern weil es ihnen selbst so richtig Spaß macht. Wenn also aus der Restaurant-Toilette Gelächter erschallt, kann das Heidi sein, die immer eine Clownsnase mit sich trägt und sich auf Klos nicht mehr halten kann.
Der alberne Nachbar verschafft sich vielleicht, wie Joachim, am liebsten im Wohnzimmer mit Videobändern oder Kassetten seinen persönlichen Lachhöhepunkt. Und wenn plötzlich an der Ampel ein Auto bebt, lacht sich mit Sicherheit Rosi schlapp. Wenn andere sie auslachen, lacht Rosi einfach noch mehr.
Heute lachen und lächeln die Menschen nur noch zwanzig Minuten am Tag. Halb soviel Zeit wie noch in den 50er-Jahren. Nach Ansicht von Michael Titze könnte man diesen Prozess leicht wieder umkehren:
»Wir sollten versuchen, unsere Einstellung zu relativieren, die auf Perfektionismus abzielt: im Berufsleben, im gesellschaftlichen Leben, vielleicht auch im Familienleben. Wir sollten uns nicht mehr so viel vornehmen, auch zeitlich nicht dauernd an die ferne Zukunft denken. Vielmehr sollten wir lernen, uns auf die Gegenwart im Sinne eines unmittelbaren Hier und Jetzt einzustellen. Das lässt sich machen, wenn ich mich ganz auf das konzentriere, was in den nächsten 5-10 Minuten passiert - und wenn ich in diesen paar Minuten versuche, aus meinem Leben das Beste herauszuholen. Es gibt so Vieles, was im unmittelbaren Erleben angenehm sein kann und was mir Spaß bereiten kann. Und wenn ich dies erkenne und praktiziere, dann habe ich auch einen direkten Zugang zum Lachen. Dann beginnt mit einem kleinen Lächeln, und kulminiert - speziell, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die ebenso eingestellt sind - dann in diesem unbeschwerten Lachen, das wir in unseren Gruppen auch üben.«
Die Patienten in Titzes Lachgruppe sind mittlerweile gut befreundet. Einige kommen, obwohl sie ihre Therapie schon längst beendet haben, noch regelmäßig nach Tuttlingen, um wieder einmal so richtig mit anderen zu lachen. Auch der Schweizer Lachpapst René Schweizer braucht ab und an eine gut dosierte Humorspritze um kreativ zu sein:
»Ich halte das für eine absolute Wahrheit, dass neben dem Ernst das Lachen sein muss. So wie es hell und dunkel gibt, wie es das Weibliche und das Männliche gibt, so muss es den Humor neben dem Ernst geben. Und nur wenn diese beiden Pole zusammenkommen, durch das Weibliche und das Männliche beispielsweise neues Leben entstehen kann, so kann positive Kreativität, lebensbejahende Kreativität, die kann nur entstehen, wenn der Ernst den Humor als gleichwertigen Partner neben sich akzeptiert. Und sonst geht das nicht.«
Genau das ist das Dilemma der Lachwissenschaft. Wie kann man Humor ernst nehmen? Die junge Lehre vom Lachen hat es schwer sich durchzusetzen. Nur wenige wissen, dass die Gelotologie wissenschaftlich fundiert ist. Schweizer organisiert daher Humorkongresse, um über die neuesten Forschungsergebnisse zu informieren. Lachen ist gut für Körper und Psyche, und Lachtherapie oder provokative Therapie sind durchaus seriöse Instrumente, nämlich Humortechniken, die bei einigen psychischen Problemen gezielt eingesetzt, sehr viel bewirken.
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