KLEINE ZEITUNG (Graz), 16.06.2024
 
«Fragen Sie nach einem Schraubenzieher für Linkshänder!»
 
Interviewerin: Manuela Tschida-Swoboda
 
 

Was hat Sie zur Lachforschung geführt?

Michael Titze: Als ich begann, mich mit dem Phänomen Humor in der Therapie zu beschäftigen, war ich Psychologe in der Psychiatrie. Die paradoxen Verfahren von Viktor Frankl haben mich damals besonders fasziniert. In seinem Buch «Trotzdem ja zum Leben sagen», schreibt er, wie ihm der Humor dabei geholfen hat, selbst das KZ zu überleben. Er schaffte es, seine Mithäftlinge in einer an sich ausweglosen Situation immer wieder zum Lachen zu bringen.

Seine berühmte paradoxe Intention.

Genau. Frankl sagte, dass man das scheinbar Ausweglose annehmen soll. Also nicht dagegen ankämpfen, sondern das, was sich an emotionalen Untiefen und Belastungen in den Weg stellt, nicht nur annehmen, sondern sogar zu übertreiben und somit zu ironisieren. Wer zum Beispiel Angst vor dem Zittern hat, soll hinausgehen und der Welt zeigen, dass er ein Weltmeister im Zittern ist. Und Humor ist letztlich nichts anderes als eine paradoxe Intention. Denn im Humor wird das, was Erwachsene in der Welt der Vernunft als einzige Lösungsmöglichkeit ansehen, gnadenlos relativiert.

Zum Beispiel?

Ein ernster, vernunftbegabter Mensch hat immer nur zwei Möglichkeiten vor Augen: entweder es geht, oder es geht nicht. Ein humorvoller Mensch beschränkt sich hingegen auf das Hier und Jetzt. Wie ein Kind, das im Augenblick lebt und das große Ganze nicht beachtet. In den Videos aus Gaza sieht man, dass die einzigen Menschen, die herumtollen, lächeln, fröhlich sind, kleine Kinder sind. Die spielen unbekümmert in den Trümmern. Die finden unaufhörlich etwas, das sie auf den Augenblick fokussieren lässt. Genau das kann der Humor auch dem Erwachsenen vermitteln: im Moment sein. Das nennen wir in der Psychotherapie heute Achtsamkeit.

Wie lernt man Achtsamkeit?

Indem man etwa seine Atemzüge zählt. Indem man ganz in dem Moment ist. Ich habe selbst bei Menschen am Ende ihres Lebens gesehen, dass sie dann leichter loslassen konnten und ganz im Hier und Jetzt aufgingen.

Gibt es einen wissenschaftlichen Nachweis, dass Lachen gesund ist?

Ja, dazu gibt es mittlerweile eine Fülle von Studien, die das bestätigen. In der Arbeit mit Humor stelle ich mich auf Gefühle ein, die positiv sind. Genau das hat sich die Positive Psychologie auf ihre Panier geschrieben: Der Mensch soll sich dabei auf seine inneren Kraftquellen beziehen. Man soll sich auch in schwierigen Situationen nicht auf das Negative, das einem im Leben widerfahren ist, fokussieren, sondern ausschließlich auf das schauen, das positive Gefühle hervorruft, zum Beispiel in der Partnerschaft, im Beruf oder in der Gestaltung der Freizeit. So wird der Fokus auf all das gelegt, das in einer mühelosen Weise gelingen kann.

Warum will niemand ausgelacht werden?

Menschen, die im sozialen Leben anecken, sind im Grunde unfreiwillige Komiker. Sie wirken seltsam. Kinder sind da hart, verbünden sich untereinander und fangen zu lachen an über den, der nicht dazugehört. Das ist ein Lachen, das ausschließt, das dem betroffenen Kind signalisiert: Du bist nicht annehmbar, wie du bist, nicht Ansehens wert. Aber jeder Mensch möchte ernst genommen werden. Wird man in dieser Weise als komisch befunden und ausgelacht, kann das zur Gelotophobie führen.

Was ist das?

Angst vor jeglicher Form des Lachens. Dem geht die Angst vor dem Lächerlichsein voraus. Willibald Ruch, ein gebürtiger Kärntner, ist ein bekannter Psychologe an der Uni in Zürich und hat festgestellt, dass die Angst lächerlich zu sein im Fernen Osten, etwa in Japan, sehr hoch ist. Wenn sich die Menschen dort in ihrer Ehre angegriffen fühlen, können sie aggressive, völlig irrationale Verhaltensweisen an den Tag legen. Lachen hat nämlich eine doppelsinnige Bedeutung. Es kann Menschen zusammenbringen, kann sie aber auch sozial ausschließen.

Was halten Sie von Lachyoga?

Da kommen Menschen zusammen, die das grundlose Lachen gemeinsam inszenieren. In den Lachyogagruppen ist man ganz im Hier und Jetzt. In den ersten Momenten ist es ein gefaktes Lachen, aber nach ein paar Minuten springt das echte Lachen an. Ich halte es für eine großartige Entwicklung. Lachen verbindet, wenn man Teil einer Lachgemeinschaft ist und es stärkt die Lebensgeister. Lachen muss man ernst nehmen.

Wie kommt es zu einem Lachanfall?

Mir hat einmal ein Pfarrer erzählt, dass er bei einer Beerdigung plötzlich in diese traurige Situation hineinlachen musste. Man ist wie ein kleines Kind in diesen Reaktionsweisen gefangen und kann nichts dagegen tun. Frankl würde da wieder sagen: Gut, das muss ich erst einmal akzeptieren. Und das entspricht einem Mut zur Lächerlichkeit, der in letzter Konsequenz eine humorvolle Gelassenheit bewirkt.

Braucht der Humor den Applaus?

Der deutsche Zeichner und Karikaturist Karl Arnold hat 1906 im Satireblatt Simplicissimus drei Karikaturen nebeneinandergestellt. Die eine Karikatur zeigt den Comedian, den Spaßmacher, inmitten Hunderter Leute, die ihm zujubeln, daneben erscheint der Witze-Erzähler am Stammtisch, der das große Wort führt. Und als Dritter kommt der Humorist, der sitzt auf einer Parkbank, inmitten eines Schneegestöbers. Dennoch ist dieser Mensch bestens gelaunt und genießt den Augenblick: Er genügt sich selbst. Der Humorist braucht keinen Zuspruch der anderen, sondern darf das tun, was sein Eigensinn ihm vom Affektiven her souffliert. Der große Philosoph Kant hatte erklärt, dass derjenige über das Merkmal der Verrücktheit verfügt, der sich von seinem Eigensinn leiten lässt.

Braucht es mehr Mut zur Lächerlichkeit?

Viktor Frankl war sehr dafür. Wenn ich zu meinen Verrücktheiten stehe, ist das eine wunderbare Möglichkeit, mich innerlich zu befreien. Ein wichtiger Vordenker des therapeutischen Humors war Richard Hülsenbeck, ein Mitbegründer der Dada-Bewegung. Ein Pionier des therapeutischen Humors ist Albert Ellis, der die kognitive Verhaltenstherapie dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen, und der seine Lehranalyse einst bei Hülsenbeck absolviert hatte. Die von Ellis verwendeten «Schamüberwindungsübungen» sind so effizient wie humorvoll. Er schlug seinen Patienten vor: «Versuchen Sie, eine Uhr bei einem Schuster reparieren zu lassen.» – «Fragen Sie in einem Geschäft nach einem Schraubenzieher für Linkshänder», «Fahren Sie mit dem Bus und rufen Sie bei jeder Haltestelle: Trafalgar Square! Alles aussteigen!». Das ist verrückt, aber evidenzmäßig ist es die einzig wirksame Methode bei Menschen mit Sozialphobien. Es geht um nichts anderes als darum, sich von normativen Vorgaben der Erwachsenenwelt freizumachen.

Erzählen Sie bitte noch einen Witz!

Jemand fährt mit der Straßenbahn und fragt den Schaffner: «Wie spät ist es?» Sagt der: «Donnerstag». Ruft der andere: «Um Gottes willen, da muss ich ja aussteigen!»