Der WDR sendet Inhalte von Komiker-Legende Otto Waalkes nur noch mit einem Diskriminierungs-Warn-Hinweis (NIUS berichtete). «Humor ist dafür da, uns für eine kurze Zeit von allen gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen zu befreien. Er ist ein Ventil, das den Druck des normierten Alltagslebens entweichen lässt», erklärt der Psychologe und Humor-Forscher Dr. Michael Titze gegenüber NIUS und betont: «Wer nun vor Otto warnt, macht diese Ventilfunktion des Humors kaputt.»
Für den WDR ist Waalkes nur noch mit Vorsicht zu genießen: «Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung», bzw. «Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden», sagt eine strenge Frauenstimme, bevor die Otto-Sendung beginnt.
Humor: «Respektloses Verhalten, ohne verletzend zu sein»
Humor-Forscher Titze sieht in solchen Warnhinweisen eine gefährliche Beschneidung der humoristischen Freiheit. Titze zu NIUS: «Der Philosoph Jean Paul hat schon Anfang des 19. Jahrhunderts festgestellt: ,Humor ist das umgekehrt Erhabene. Er erniedrigt das Große, um ihm das Kleine, und erhöht das Kleine, um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich und nichts ist.‘ In der Welt des Humors wird tatsächlich alles relativiert – Voraussetzung dafür ist aber ein unbefangenes Agieren gegenüber normativen Direktiven, die von außen an das Individuum herangetragen werden. Das zielt überhaupt nicht darauf ab, andere Individuen zu verletzen.»
Heißt: Im Humor zielt eine formal unangemessene Wortwahl nicht auf die konkrete Beleidigung bestimmter Personen ab. Vielmehr geht es dabei um einen Kunstgriff, mit dessen Hilfe die Schranken einer normativ eingeengten Welt durch überspitzte Darstellung geweitet werden.
Dabei beruft sich Titze auf Freuds psychoanalytischem Konzept der Primär- und Sekundärprozesse: Primär sind dabei die inneren Impulse, die von Anbeginn des Lebens auf ein gutes Selbstgefühl abzielen. Dies ist die Voraussetzung, um affektiv auf die «Sonnenseite des Lebens» zu gelangen. Als sekundär gelten jene normativen Einschränkungen bzw. gesellschaftlichen Vorgaben, welche geeignet sind, die primären Neigungen einzuschränken.
Besagte Ventilfunktion sei so alt wie Menschheit selbst, so Titze – selbst die Kirche habe im Mittelalter mit der Fastnacht ein paar närrische Tage im Jahr zugelassen, in der sich die Menschen ganz anders verhalten durften, als dies den vorherrschenden Sittengesetzen der normativen Ordnung eigentlich entsprach. «Das wurde als eine ‚Narrenfreiheit‘ verstanden, die ein Verhalten erlaubt, das ‚normaler Weise‘ untragbar war. Entsprechend durften sich während der antiken Saturnalien Sklaven über ihre Herren, Arme über Reiche und Gläubige über die Priester lustig machen. Das alles zielte auf nichts anderes ab, als dem ‚gemeinen Volk‘ ein temporäres Ventil zur inneren Selbstbefreiung zur Verfügung stellen», erklärt Titze.
Totalitäre Strategie
In der Nazi-Zeit sei diese Narrenfreiheit rigoros unterbunden worden. Jegliche Verächtlichmachung des Regimes bzw. dessen Hauptfiguren wurde unnachsichtig bestraft. «Das gleiche hat man während der Zeit des Stalinismus gefunden. Da war es ganz gefährlich, Witze zu bringen, die die ideologische Vorgaben der damaligen Zeit aufs Korn nahmen bzw. relativiert haben», so Titze weiter.
Das sei mit den normativen Einschränkungen der heutigen Zeit nicht eins zu eins vergleichbar, stellt der Psychologe fest, «aber formal gesehen folgen die heutigen Mechanismen, dem gleichen Prinzip: Die gesellschaftlichen Vorgaben, welche die Sekundärprozesse steuern, werden nachgerade verabsolutiert», so Titze. Und weiter: «Wer sich heute unbefangen bzw. impulsiv äußern möchte, muss sich vorher genau überlegen: Geht das überhaupt? Ist das möglich? Oder könnte es dazu führen, dass man mich ausgrenzt aus der Gesellschaft? Das führt letztendlich zu einer latenten sozialen Angst, die schließlich chronisch wird.»
Ergebnis: Der Humor und die damit verbundene temporäre Selbstbefreiung aus dem sozial definierten Alltag bleibt über kurz oder lang auf der Strecke.
Oder wie Titze es abschließend zusammenfasst: «Fehlt diese innere Selbstbefreiung – das Lachen, das daraus resultiert – erfolgt eine ständige Selbstkontrolle und -zensur, die aus dem Leben eines fröhlichen, unbedarften Kindes, das sich keine Gedanken macht, wie es im Leben weitergeht, eine einzige Mühsal macht.» |